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Lektüre von Oktober bis Dezember 2022

  • Autorenbild: Vensch
    Vensch
  • 31. Jan. 2023
  • 6 Min. Lesezeit

Klassiker, Terry Pratchett und Kolonialismus


19. Northanger Abbey (Die Abtei von Northanger)

Jane Austen

Erscheinungsjahr 1817

236 Seiten

Jane Austens Parodie der Schauerliteratur. Die Protagonistin Catherine Morland (nicht zu arm, nicht zu reich, nicht zu hübsch, nicht zu hässlich) ist jung, unerfahren und liest gerne Gruselgeschichten. Auf ihrer ersten Reise außerhalb des häuslichen Umfeldes sieht sie prompt überall Gespenster und Intrigen. Gleichzeitig ist sie von so integrem Charakter, dass sie die tatsächlichen Machenschaften der Leute in ihrem Umfeld völlig übersieht. Im Kurort Bath lernt sie die Tillneys und die Thorpes kennen und findet sich bald als gute Freundin der (doch recht oberflächlichen) Verlobten ihres Bruders Isabella Thorpe und als Objekt der Begierde von Isabellas aufschneiderischem Bruder John wieder. Die Thorpes geben sich reichlich Mühe, Catherine vom Umgang mit den wesentlich gesitteteren Tillneys abzuhalten, dabei empfindet Catherine große Bewunderung für den jüngsten Sohn Henry Tillney und schließt schnell Freundschaft mit dessen Schwester Eleanor.

Ein Buch, in dem fast nichts passiert. Unterhaltsam ist es trotzdem, aufgrund des für Austen typischen satirischen Schreibstils. In der Mitte zieht es sich ein wenig, weil einige der Charaktere doch recht unerträglich sind.

7/10


20. Monstrous Regiment (Weiberregiment)

Terry Pratchett

Erscheinungsjahr 2004

494 Seiten

Das kleine hinterwäldlerische Bergland Borogravia führt Krieg. Gerade mit Zlobenia, wahlweise aber auch mit seinen anderen Nachbarländern. Pollys Bruder Paul hat sich freiwillig gemeldet und ist seitdem verschwunden. Um ihn zu finden, fasst sie einen wagemutigen Entschluss: obwohl es gegen die Gebote des Gottes Nuggan verstößt, wird sie sich als Mann verkleiden und in die Armee eintreten, um ihn zu suchen.

Der für Pratchett typische Humor und die sprachliche Spitzfindigkeit machen das Buch auch beim fünften Lesen zu einem großen Vergnügen. Mit dem Schalk im Nacken setzt Pratchett sich mit Geschlechterrollen auseinander, ohne in platten Aktivismus zu verfallen.

10/10


Bonus: Hundert Jahre Einsamkeit

Gabriel Garcia Marquez

Gelesen von Ulrich Noethen

Obwohl die deutsche Übersetzung mir beim Lesen nicht besonders zugesagt hat, liest Ulrich Noethen sie so gekonnt, dass man alles vergisst.

8/10 (ausführlichere Beschreibung hier)


21. Us (Drei auf Reisen)

David Nicholls

Erscheinungsjahr 2014

419 Seiten

Douglas ist 54 und seine Frau Connie will die Scheidung. Die beiden entscheiden sich mit ihrem gemeinsamen Sohn Albie, der im Herbst studieren gehen wird, eine Abschiedstournee durch Europa zu machen. Aus Douglas Perspektive erfahren wir in einem Gemisch aus Jetzt und Rückblende, wie er und Connie sich kennengelernt haben, welche einschneidenden Erlebnisse ihre Ehe geprägt haben und wie schwierig das Verhältnis zwischen Douglas und seinem Sohn ist. Die Eheleute könnten nicht verschiedener sein: Douglas ist Wissenschaftler, methodisch, sicherheitsbedürftig und logisch, Connie ist Künstlerin, impulsiv, warmherzig und chaotisch. Der Sohn schlägt voll nach der Mutter und rebelliert konstant gegen den Vater. Jedoch ist Douglas trotz seiner fehlenden emotionalen Intelligenz in keiner Weise kaltherzig, er liebt Frau und Sohn sehr und versucht, ihnen weitestmöglich entgegenzukommen und ihre Sichtweise zu verstehen. (Häufig konnte ich deutlich besser Douglas’ Standpunkt verstehen, daher kamen mir Connie und Albie oft ihrerseits ignorant, kaltherzig und unfair vor.)

Das Buch ist sehr gut geschrieben, der Schreibstil spiegelt Douglas’ analytisch präzises Denken gelungen wider. Die Geschichte hat einen soliden Spannungsbogen und setzt sich differenziert mit dem Generationenkonflikt und verschiedenen Standpunkten und Lebensmodellen auseinander, ohne klar zu bewerten, zu moralisieren oder zu trivialisieren. Abstrakt ist es ein sehr gutes Buch.

Nun zu meiner subjektiven Erfahrung: Ich habe einfach keinen Spaß bzw. wenig Interesse an Geschichten, in denen es nur um eine (vor allem romantische) Beziehung geht. Schon gar nicht, wenn sie möglichst realistisch mit Höhen und Tiefen geschildert wird und auch nicht, wenn es um die Intimsphäre der Protagonisten geht. Zwar ist das in diesem Buch dankbar kurz gehalten und noch einigermaßen geschmackvoll beschrieben, aber mir dennoch zu viel Information.* Zudem habe ich besonders in der ersten Hälfte unter dem Verhalten von Frau und Sohn gelitten und die angespannte Familienatmosphäre macht es für mich als harmoniesüchtigen Menschen schwer zu lesen, gerade weil es gut und einnehmend geschrieben ist. Ich habe das Buch für eine Prüfung lesen müssen, sonst hätte ich es möglicherweise nicht zu Ende gebracht. Das wäre allerdings auch schade gewesen, denn es macht seine Sache gut und ist sprachlich deutlich anspruchsvoller als man es von Bestsellern heutzutage gewohnt ist.

7/10


22. Thief of Time (Der Zeitdieb)

Terry Pratchett

Erscheinungsjahr 2001

357 Seiten

Lobsang, Findelkind der Diebesgilde, wird aufgrund seiner Fähigkeit, die Zeit zu manipulieren in Quidong, dem Kloster der Geschichtsmönche, aufgenommen. Dort wird er Lu-Tze unterstellt, einem der berühmtesten Mönche, der sich jedoch als ein unscheinbarer kleiner Mann mit einem Besen herausstellt. Gleichzeitig heuern die Revisoren, die Beobachter des Universums, in Ankh-Morpork einen Uhrmacher an, dessen perfekte Konstruktion die Zeit selbst stoppen soll, damit endlich alles ordentlich wird und sie es besser beobachten können. Der Tod, der sich über die Jahrhunderte angefangen hat, für das Schicksal der Menschen zu interessieren, hat von diesem Plan erfahren, darf sich aber nicht einmischen. Deshalb beauftragt er seine Enkelin Susan, die Welt zu retten.

Der Plot ist Pratchett-typisch verworren und schlecht zusammenfassbar und abstrus, aber die Lektüre lohnt sich. Wer ein großer Fan von Kontinuität ist, kann vorher die anderen Bücher über Tod lesen (Mort (Gevatter Tod), Reaper Man (Alles Sense), Soul Music (Rollende Steine), Hogfather (Schweinsgalopp), die letzten beiden handeln ebenfalls von Susan). Wer sich für die Geschichtsmönche interessiert, kommt in Nightwatch (Die Nachtwächter, s.u.) auf seine Kosten.

7/10


23. Das Weltreich der Deutschen - Von kolonialen Träumen, Kriegen und Abenteuern

Guido Knopp

Erscheinungsjahr 2010

333 Seiten

Eine sehr spannend erzählte Darstellung der deutschen Kolonien in Südwest- und Ostafrika, der Südsee und China, angereichert mit persönlichen Schicksalen und Anekdoten. Das Buch beschreibt hauptsächlich objektiv die Gräueltaten, die durch die Deutschen begangen wurden, aber auch die Zustände in den indigenen Bevölkerungen, die vor und während der Kolonialisierung bestanden.

Die deutsche Kolonialzeit ist vergleichsweise kurz: gerade einmal 30 Jahre von 1884 bis 1914 zählen im engeren Sinne dazu. Private Unternehmer setzten sich dabei gegen den großen Widerstand Bismarcks durch, der sein Hauptziel in der Friedenssicherung in Europa sah. Trauriger Höhepunkt sind der Genozid an den Herero und Nama im heutigen Namibia und ein Vernichtungskrieg gegen die Hehe in Ostafrika.

Das Fazit: Kolonialismus hat sich für die deutsche Gesamtbevölkerung nicht gelohnt, da die Kolonien für den Steuerzahler ein Verlustgeschäft darstellten, während sich einzelne Unternehmer bereicherten. Für die indigene Bevölkerung bedeutete der Kolonialismus zum einen großes erlittenes Leid, zum anderen aber auch den Beginn ihrer kulturellen Identität und den Startschuss für Fortschritt und Industrialisierung.

Gefehlt hat mir eine Darstellung der Schutzgebiete Togo und Kamerun. Zudem kommt an manchen Stellen doch ein Hauch von Kulturrelativismus auf, wenn Herr Knopp Kannibalismus unter vorheriger Folterung der Opfer in Papua-Neuguinea als “aus europäischen Augen grausam” bezeichnet. Ich würde behaupten, wenn man ein Konzept von Grausamkeit hat, dann fällt das darunter, egal, wo man herkommt. Außerdem bietet das Buch zu wenig Kartenmaterial, das Kontext für den Betrachter herstellt.**

Insgesamt ein sehr aufschlussreiches Buch, das sich fast wie ein Roman liest, und ruhig noch ein paar Seiten mehr hätte haben können.

8/10***


24. Night Watch (Die Nachtwächter)

Terry Pratchett

Erscheinungsjahr 2002

407 Seiten

Von Zeit zu Zeit, wenn ich das Bedürfnis habe, in einer wohlbekannten und innig geliebten Geschichte zu versinken, nehme ich dieses Buch zur Hand. Dieses Jahr war es mal wieder so weit, der sechste Durchgang stand an.

Samuel Mumm, Hauptmann der Stadtwache von Ankh-Morpork, verfolgt einen Schwerverbrecher über die Dächer der Unsichtbaren Universität, als der Blitz einschlägt. Die magische Entladung schleudert beide 30 Jahre in die Vergangenheit, in die Tage kurz vor der Fliederrevolution, als in der Stadt noch ganz andere Verhältnisse herrschen. Ein tyrannischer Patrizier ist an der Macht, die Straßen werden von verschiedenen Gangs beherrscht und die Stadtwache ist kaum mehr als eine Söldnertruppe, die die Machenschaften der Regierung unterstützt. Mumms Ankunft hat den zeitlichen Ablauf der Geschehnisse ins Wanken gebracht und er muss in die Rolle seines eigenen Ausbilders schlüpfen, um die Gegenwart und sich selbst zu retten.

Spannend, unterhaltsam und lustig beschreibt Pratchett eine Revolution, die gleichzeitig auf die dem Autoren eigene Art absurd und doch von einer tieferen Wahrheit gezeichnet ist. Mumm schwingt sich nicht zum Revolutionsführer auf, sondern versucht während aufrührerischer Tage, sein Viertel und die ihm Unterstehenden zu beschützen und sich nicht ins große Chaos hineinziehenzulassen. Aber in schweren Zeiten scharen sich die Leute um charismatische Führer und bald hat seine Gradlinigkeit größere Konsequenzen als beabsichtigt…

Dieses Buch macht besonders viel Spaß, wenn man mit der Scheibenwelt gut vertraut ist, da viele Charaktere in der Vergangenheit aus der Gegenwart bekannt sind. Einordnung in den Stadtwachenzyklus: Guards Guards! (Wachen! Wachen!), Men at Arms (Helle Barden), Feet of Clay (Hohle Köpfe), Jingo (Fliegende Fetzen) und The Fifth Elephant (Der fünfte Elefant), Night Watch (Die Nachtwächter), Thud! (Klonk!), Snuff (Steife Briese). Aber auch ohne Vorwissen lässt sich die Geschichte wie immer gut lesen.

9/10


* Eine andere Meinung vertritt Mark Lawson hier, dem kann es gar nicht genug tolle Details aus dem Sexleben zweier imaginärer Mittfünfziger geben.

** Der Mangel an Karten ist ein generelles Problem in historischen bzw. geographischen Darstellungen. Woher soll der Ottonormalverbraucher wissen, wo z.B. Tanganjika liegt oder welche Länder sich heute um den Viktoriasee sammeln? Ein Unterfall hiervon ist das Problem der chaotischen/schlechten Karte, wie zum Beispiel im Buch Yalu von Jörg Friedrich, wo eine Karte des ostasiatischen Raums präsentiert wird, auf der sich etwa fünf verschiedene Umschriftsysteme tummeln, was für den Asienkundigen zu Augenkrebs führt.

*** Allerdings gibt es Abzüge in der B-Note, weil ein abgedrucktes chinesisches Dokument auf Seite 216 auf dem Kopf steht.



Comments


Kommentare (6)

Gast
15. Mai 2024

Die kleinen Taschen und die Bekleidung für alte Puppen, einfach nur schön.

Leider bin ich völlig untalentiert für solche Sachen😔

Liebe Grüße

Petra

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Gast
19. Apr. 2024

Kleidung für Püppi. Von deinen Nähkünsten bin ich total begeistert und es ist so schön beschrieben, dass das Lesen echt Spaß macht. Liebe Grüße Brigitte

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Gast
07. Apr. 2024

Sehr schön zu sehen wie viel Spaß (und Zeit) du zum Nähen hast!

Es gibt an der Nähmaschine einen speziellen Stich für dehnbare Stoffe. Mit dem dürfte der Faden nicht reißen!

Für große Köpfe gibt es spezielle Tricks - einfach mal nachschauen wie das bei den Shirts für Babys gemacht wird!


Liebe Grüße

Miriam



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Gast
12. Feb. 2024

Always insightful. Good work. 😀

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Gast
21. Okt. 2023

Es regnet, endlich Zeit, die Beiträge zu lesen und nicht nur wahrzunehmen. Macht Freude, das zu lesen und obwohl ich das Buch und die Videos nicht kenne, kann ich mir eine Menge vorstellen! Biene

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Gast
30. Juli 2023

Sehr schön geschrieben!

Liebe Grüße

Christina

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