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Die deutsche Übersetzung von 100 Jahre Einsamkeit

  • Autorenbild: Vensch
    Vensch
  • 11. Sept. 2020
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 31. Jan. 2023

Ein Sprachvergleich zu Gabriel García Marquez' Cien años de Soledad

Heute setze ich mich mit der deutschen Übersetzung von Gabriel Garcia Marquez’ Geniestreich 100 Jahre Einsamkeit auseinander.

Ich arbeite mit der Neuübersetzung von der (preisgekrönten) Übersetzerin Dagmar Ploetz (2017 erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, Köln). Es handelt sich um eine Neuübersetzung anlässlich der spanischen Jubiläumsausgabe aus dem Jahr 2007 von Cien años de Soledad (edición conmemorativa, im Alfaguara-Verlag erschienen).






Kurz nach der Lektüre der spanischen Ausgabe habe ich in der deutschen Fassung drauf los gelesen, um zu erfahren, was ich bei der ersten Lektüre so verpasst habe (schließlich ist mein Spanisch nicht perfekt). Immer, wenn ich an einer Formulierung hängen geblieben bin, habe ich die Passage mit der spanischen Version verglichen. Überraschend oft war ich mit der Übersetzung nicht sonderlich zufrieden. Das hat mich leider häufig aus dem Lesefluss gerissen. Wenn ich deutsche Übersetzungen englischer Bücher lese, geht es mir häufig so, dass ich an der merkwürdigen oder fehlerhaften Übersetzung zu erkennen glaube, was im Original dort gestanden haben muss. Obwohl ich Spanisch deutlich schlechter beherrsche als Englisch, sind mir in der deutschen Version doch recht viele schiefe Formulierungen aufgestoßen.

Natürlich liest man in seiner Muttersprache deutlich kritischer und hat auch ein besseres Gefühl für Sprachebene und -stil. Vermutlich lese ich deshalb so gerne in Fremdsprachen, da muss ich mir weniger Gedanken über die Formulierungen des Autors machen, der ist ja schließlich Muttersprachler und wird es schon wissen.

Sicherlich sind einige der Dinge, die mir nicht gefallen haben, der Tatsache geschuldet, dass Frau Ploetz, die beruflich und preisgekrönt übersetzt, ein anderes ästhetisches Empfinden hat als ich. So beschreibt sie im Nachwort ihr Unterfangen, die Übersetzung zu modernisieren, da eine Übersetzung immer schneller altere, als der Ausgangstext. Da kann ich ihr nicht zustimmen.

Man muss aber ehrlicherweise zugeben, dass sich die Unzufriedenheit meinerseits vor allem aus dem direkten Vergleich mit dem Original ergibt. Lässt man sich auf die deutsche Version ein, ohne die spanische Ausgabe daneben zu legen und aufs genaueste zu überprüfen, ist die deutsche Variante absolut valide und für jeden, der des Spanischen nicht mächtig ist, trotzdem ein großer Spaß.


Zunächst kurz zur Geschichte: Das Buch beschreibt den Niedergang der kolumbianischen Familie Buendía in ihrem Urwalddorf Macondo. Mehr braucht man nicht zu wissen, außer, dass es durch das Genre des Buches (Magischer Realismus) immer wieder zu abstrusen und übernatürlichen Phänomenen kommt, die sich wie selbstverständlich in das Alltagsleben der Personen einfügen.

Ich werde die Textstellen möglichst spoiler-frei halten, indem ich Personennamen durch Personalpronomen in Klammern ersetze. Der Textstelle folgt jeweils die Seitenzahl.


Nun ans Eingemachte:



Echte Fehler


Rechtschreibfehler


Wie in jedem Buch habe ich auch in diesem ein paar gefunden:


Während dieser jedoch sein ungeheure Kraft bewahrte..., (12)


Ein Schweineschwanz, (...) der ihm das Leben kostete,... (30)


…, so dass selbst (er) erst an seine Rückkehr glaubte, als offiziell bekannt gegeben würde, er habe zwei Küstenprovinzen in seine Gewalt gebracht. (197)


… und er konnte seine gute Laune nur in überspannten Auftritten auszutoben. (241)


Inhaltlicher Fehler


Nach sechzehn Niederlagen rückte (er) mit tausend gut bewaffneten Indios aus Guajira an, … (166)


Eigentlich sind es zweitausend (dos mil indígenas, 155)



Sprachstil


Dort zog er das Hemd aus, setzte sich auf den Rand seines Feldbetts, schoss um Viertel nach drei Uhr nachmittags eine Pistolenkugel in den von seinem Privatarzt mit Jod auf die Brust gemalten Kreis. (224)


Allí se quitó la camisa, se sentó en el borde del catre, y a las tres y cuarto de la tarde se disparó un tiro de pistola en el círculo de yodo que su médico personal le había pintado en el pecho. (207)


Das Buch lebt von absurden Aufzählungen und dem Stilmittel der Wiederholung.

Häufig setzt Frau Ploetz im deutschen kein “und” zwischen ihre Sätze, selbst wenn im spanischen ein “y” steht, was für mich das Ganze abgehackt klingen lässt und den Lesefluss behindert. Dann denkt man, es käme noch etwas, wird dann durch den Punkt überrascht. (So wie in diesem letzten Satz.)



(Ihr) schwante zuerst, dass sie ihn für immer verloren hatte. (216)


(Ella) fue la primera en sospechar que lo habían perdido para siempre. (200)


Ich finde den deutschen Satz an dieser Stelle etwas seltsam. Was wäre schlecht gewesen an “Ihr schwante als erster”, wie es auch im Original steht?



Fehlende Personalpronomen


Im spanischen sind Personalpronomen optional, da man dem Wort anhören kann, welcher Person es zugehörig ist. Daher ist die Auslassung die Regel, das Setzen von Personalpronomen stellt dagegen eine Betonung der handelnden Person dar. Anders im Deutschen: Dort ist das Personalpronomen grundsätzlich zu benennen und die Auslassung wirkt umgangssprachlich oder flapsig, so lange es sich nicht um eine gleichlaufende Aufzählung handelt. Frau Ploetz spart gerne an Personalpronomen, das finde ich sprachlich eher unschön.


(Sie) wich ihm aus. Hütete sich vor zufälligen Begegnungen. Sorgte dafür, nicht von (ihr) getrennt zu werden. (188)


(Ella) le huía. Se prevenía contra los encuentros casuales. Procuraba no separarse de (ella). (174)



Übersetzungen, die mir nicht gefallen


…, wie er zwischen den Zähnen von seinen Umzugsträumen brabbelte… (22)


… comentando entre dientes sus sueños de mudanza... (22)


Zwar heißt “entre dientes” wortwörtlich “zwischen den Zähnen”, “decir entre dientes” heißt aber nicht “zwischen den Zähnen sprechen”, sondern “murmeln". So dass es eher heißt “wie er murmelnd seine Umzugspläne äußerte/auslegte”



Aber (sie) war nicht ansprechbar für seine Hellseherei. (23)


Pero (ella) fue insensible a su clarividencia. (23)


Ich finde, “unempfänglich” oder “gleichgültig gegen” träfe es deutlich besser, als “nicht ansprechbar”.



Als Hurensohn bin ich geboren, und ich sterbe als Hurensohn. (163)


Nací hijo de puta y muero hijo de puta. (152)


Abgesehen von der auch hier gegebenen seltsamen Kommasetzung finde ich es merkwürdig, dass der Satz im deutschen völlig arhythmisch ist und nicht gleichläuft, wie im Spanischen. Deutlich prägnanter wäre doch wohl gewesen “Als Hurensohn bin ich geboren und als Hurensohn werde ich sterben.” Zwar stünde dann die Übersetzung im Deutschen im Futur statt im Präsenz, wäre dafür aber sprachlich deutlich netter.



Nach sechzehn Niederlagen rückte (er) mit tausend gut bewaffneten Indios aus Guajira an, überfiel Riohacha im Schlaf und vertrieb die örtliche Garnison. (166)


Al cabo de dieciséis derrotas, (él) salió de La Guajira con dos mil indígenas bien armados, y la guarnición sorprendida durante el sueño abandonó Riohacha. (155)


Es klingt in der deutschen Übersetzung so, als hätte derjenige, der die Stadt einnimmt geschlafen (also dies mit links gemacht) und nicht so, als hätte er die schlafende Stadt überrascht. Alternativ könnte man übersetzen: Nach sechzehn Niederlagen rückte (er) mit zweitausend gut bewaffneten Indios aus Guajira an, überfiel das schlafende Riohacha und zwang die örtliche Garnison zur Flucht. Das Wort “örtlich” findet sich dabei nicht im spanischen Text, verhilft der deutschen Übersetzung aber zu mehr Flüssigkeit.



Wenig später,...,sahen sie durch das Fenster einen Rieselregen aus winzig gelben Blüten fallen. (179)


Poco después,..., vieron a través de la ventana que estaba cayendo una llovizna de minúsculas flores amarillas. (166)


So wie es da steht, ist “winzig” eine Qualifikation von “gelb”, weil es nicht grammatikalisch an Blüten angepasst ist wie im Spanischen. Es müssten also “winzige, gelbe Blüten” sein und nicht solche, die auf winzige Art gelb sind. Über die Wortneuschöpfung "Rieselregen" statt "Nieselregen" bin ich mir noch nicht sicher, ob ich das gelungen finde.



Der Schaukelstuhl aus Korb (mecedor de mimbre, 184) ist im deutschen nur ein einfacher “Schaukelstuhl”, (200).



Schließlich verlor Oberst (...) das Verhältnis zum Krieg. (205)


Terminó por perder todo contacto con la guerra. (190)


Zum einen sehen wir hier, wie ein fehlendes Personalpronomen im Spanischen auf deutsch gut ausgefüllt werden kann. Jedoch ist die Übersetzung “Verhältnis” an dieser Stelle seltsam und diffus. Besser wäre gewesen: “ jegliche Verbindung”, denn das ist gemeint und weniger zweideutig als Verhältnis, was auch so etwas wie “Maß” heißen kann.



Die Nachricht, dass (sie) in der Abenddämmerung mit der Todespost aufbrechen würde…(347)


La noticia de que (ella) zarpaba al crepúsculo llevando el correo de la muerte… (319)


Todespost klingt im deutschen sehr albern, dann doch lieber “mit der Post des Todes”.



Uneinheitlichkeiten


Was mich dann aber umso mehr stört, ist das Hin-und-her-Wechseln zwischen Übersetzung und Originalbezeichnung. Dabei lebt das Buch von gezielt gesetzten Wiederholungen.

Entweder schreibe ich als Übersetzung für “ciénaga” Lagunengebiet (187), Sumpfland (17) oder Ciénaga (18; was, wenn es kein Eigenname ist, nur verwirrt) und (Hinter)hof (S. 187) oder Patio (241; was im Spanischen dasselbe ist und nicht zu verwechseln mit der deutschen Verwendung des Wortes, die einen schönen, mediterranen Innenhof vor Augen ruft). Das gleiche gilt für Bergkette (18) oder Sierra (18). Einmal lässt Frau Ploetz das spanische Wort für Ara stehen: Guacamayo (19), an anderer Stelle übersetzt sie es (52). Ständig ist von einem Erschießungskommando (9) die Rede, zwischenzeitlich ist es dann ein Peloton (165).

Da darf man sich schon mal entscheiden. Am besten für ein deutsches Wort, denn der Leser liest ja auf deutsch.



Unübersetzte Namen


Ich finde, wenn man schon ein Buch übersetzt, dann darf man das auch ganz machen. Zwar verleihen unübersetzte Namen ein exotisches Flair, andererseits lassen sie den Leser zuweilen im Dunkeln über ihre Bedeutung.

Das gilt zum einen für solche Titel wie “Corregidor”, was im Deutschen einem Amtmann entspricht, als auch für solche Namen, die eine Bedeutung haben. Sicherlich kann man sich mit ein bisschen Sprachwissen denken, dass “José Arcadio Segundo” “José Arcadio der zweite” heißt und “Francisco el Hombre” nur “Francisco der Mann” bedeutet. Warum aber übersetzt man dann Maria die Jüdin (María la Judía) und Remedios die Schöne (Remedios la Bella)? Dann gibt es noch "El Cachorro", was so viel wie “der Welpe” bedeutet. Das hätte ich auch nicht gewusst und ich kann relativ gut spanisch.



Unübersetzbarkeiten


Schließlich gibt es ein paar Dinge, die in der Übersetzung zwangsläufig verloren gehen, da kann auch der beste Übersetzer nichts machen.


…(er) weigerte sich aber, die Manuskripte zu übersetzen. “Niemand darf ihre Bedeutung kennen, bevor hundert Jahre vergangen sind”, erklärter er. (233)


...pero se negó a traducir los manuscritos. “Nadie debe conocer su sentido mientras no hayan cumplido cien años.” (214)


Im spanischen ist der Satz schön doppeldeutig, aus der Formulierung geht nicht hervor, ob die Manuskripte 100 Jahre alt sein müssen oder derjenige, der sie liest.



...hatte einmal laut gesagt, dass sie eine von jenen sei, die den Arsch mit den Bußtagen verwechsele,... (400)


..., había dicho de viva voz que ella era de las que confundían el culo con las témporas,... (367)


Hier wird ein feststehender Ausdruck im Spanischen, der so viel bedeutet wie zwei Dinge verwechseln, die sich gar nicht ähneln, wörtlich ins Deutsche übersetzt und verliert damit zwangsläufig an Schlagkraft und Prägnanz. Das ist aber natürlich legitim, wenn es keine gute Entsprechung gibt, mir ist bisher auch keine eingefallen. Es liest sich allerdings etwas seltsam, nicht zuletzt wegen der drastischen Sprache, die häufig in der Übersetzung etwas aus dem Rahmen fällt, weil man sich auf Spanisch wohl generell etwas stärker ausdrückt.



In spanischen Büchern werden normalerweise keine Anführungszeichen benutzt um direkte Rede anzuzeigen, sondern Bindestriche. In diesem Buch gibt es beides, Anführungszeichen für direkte Rede, die nicht im Rahmen eines konkreten Gespräches stattfindet, also auch für Gedanken und Bindestriche, die im direkten Gespräch verwendet werden. Diese Unterscheidung geht in der deutschen Übersetzung durch die anders genutzte Interpunktion zwangsläufig verloren.



Fazit


Ich bin kein Fan von Frau Ploetz, trotzdem ist ihre Übersetzung natürlich mit gutem Gewissen lesbar.


Was der deutschen Version aber in jedem Fall fehlt, ist ein Stammbaum. Der ist für die Lektüre unerlässlich und in der spanischen Version enthalten.






















Unwichtig:

Dafür setzt sie gerne

  • Komma nach "und" 197, 182; 198,183

  • richtig: 198,183

  • Bloque = Scholle? 27, 27

  • Westen Meerlandschaft mit Fabelwesen mit Frauenkörpern? 18,19

  • Lagunengebiet UND Hinterhof, 187, 173

  • Bergkette/ Sierra, 10,11; 18,19 (beides in einem Absatz) 23,24; 201, 185

  • Calle de los Turcos

  • Virgen de los Remedios, 202, 187


  • Überlieferbar 223,206

  • Der fällt runter (Zeitwechsel) 24,24

  • Patio,16, 34, ;144,134; 241,222

  • Ciénaga, Sumpfland, 17,18; 18,19; 194,180

  • Hecken statt "werfen", 239,221

  • Kein und trotz y, Diamant 232,213


…, während (sie) sich i Garten krumm arbeiteten, Bananen- und Malangastauden anbauten, Yukka und Kürbis, Yamswurzeln und AuberginenAufzählung im Garten Angebautes, 11,12

  • Knallkörper statt Rakete (cohete), 239,219

  • Regellos statt "wüst/über die Stränge schlagend" 239,220


  • Im Bett nichts zu bieten 240,220


Probleme der Sprachebene

  • Rastete aus /perdió los estribos = verlor die Beherrschung, 230,212

S. 379, 348El puto mundo = beschissene Welt (verdammt?)

  • Fue a ese época = es war zu dieser Zeit, nicht "damals" 206,191


  • ,390, 358 die Atmosphäre war so feucht (atmosfera = einfach Luft?)

Comments


Kommentare (6)

Guest
May 15, 2024

Die kleinen Taschen und die Bekleidung für alte Puppen, einfach nur schön.

Leider bin ich völlig untalentiert für solche Sachen😔

Liebe Grüße

Petra

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Guest
Apr 19, 2024

Kleidung für Püppi. Von deinen Nähkünsten bin ich total begeistert und es ist so schön beschrieben, dass das Lesen echt Spaß macht. Liebe Grüße Brigitte

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Guest
Apr 07, 2024

Sehr schön zu sehen wie viel Spaß (und Zeit) du zum Nähen hast!

Es gibt an der Nähmaschine einen speziellen Stich für dehnbare Stoffe. Mit dem dürfte der Faden nicht reißen!

Für große Köpfe gibt es spezielle Tricks - einfach mal nachschauen wie das bei den Shirts für Babys gemacht wird!


Liebe Grüße

Miriam



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Guest
Feb 12, 2024

Always insightful. Good work. 😀

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Guest
Oct 21, 2023

Es regnet, endlich Zeit, die Beiträge zu lesen und nicht nur wahrzunehmen. Macht Freude, das zu lesen und obwohl ich das Buch und die Videos nicht kenne, kann ich mir eine Menge vorstellen! Biene

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Guest
Jul 30, 2023

Sehr schön geschrieben!

Liebe Grüße

Christina

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