Jane Eyre
- Vensch
- 10. Sept. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. Sept. 2023
Eine fiktive Autobiographie

Jane Eyre
Charlotte Brontë
Ersterscheinungsjahr 1847
8/10
Gelesen von PJ Roscoe oder Anna Popplewell
Das erste Mal las ich Jane Eyre vor zehn Jahren und war damals hellauf begeistert. Das etwa 460 Seiten starke Buch war so spannend, dass ich es nicht weglegen konnte, und der Leseprozess war absolut nervenaufreibend. Ich habe mich dann lange nicht getraut, es noch einmal zu lesen, aus Angst, es könnte seinen ersten Eindruck nicht aufrechterhalten (so ging es mir zum Beispiel mit Sturmhöhe). Das waren berechtigte Bedenken, denn leider hat es mich nicht so komplett überzeugt wie beim ersten Mal. Es ist aber immer noch ein tolles Buch, das die Lektüre absolut lohnt.
Jane Eyre ist die Tochter eines armen Kirchenmannes, der zusammen mit seiner Frau schon bald nach Janes Geburt verstirbt. Bis zu ihrem zehnten Lebensjahr wird sie im Haus reicher Verwandter geduldet, dann auf ein Wohltätigkeitsinternat abgeschoben. Mit achtzehn entschließt sie sich, Gouvernante zu werden und kommt auf das abgelegene Anwesen Thornfield von Edward Rochester, um dessen Ziehtochter Adèle zu unterrichten. Doch das Haus und den Hausherrn umgeben finstere Geheimnisse.
Der Schreibstil ist einnehmend, anschaulich und fesselnd. Der Leser leidet mit Jane in ihrem Kampf um ein selbstbestimmtes Leben und während der Prüfungen, die das Schicksal ihr auferlegt (ich habe an einer Stelle bitterlich weinen müssen). Jane ist eine angenehme Protagonistin: Sie ist unscheinbar, intelligent und äußerlich nachgiebig, aber mit einem Kern aus Stahl, ehrlich und direkt. Die Geschichte strotzt vor christlicher Motivik, während die Charaktere versuchen, ihren Platz im Leben zu finden und recht unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie sie Gottes Willen ausführen können und sollen. Für meinen Geschmack enthält der Plot zu viele Zufälle. Kutschen halten zufällig genau in der Umgebung unbekannter Verwandter, plötzliche Erbschaften tauchen auf, unbewusste Gekritzel liefern entscheidende Beweise … Aber das Buch fällt in die Kategorie Schauerliteratur, damit entfällt der Anspruch auf Realismus qua Definition. In der Mitte hängt es etwas durch, manche Dialoge geraten zu lang und repetitiv.
Eine Anmerkung zum Cover der Collins-Classics-Ausgabe: Es ist ein völlig anachronistisches Cover, das an das ästhetische Empfinden der modernen Leserschaft appellieren soll. Ich finde es ein bisschen albern. Ich empfehle ein Video von Bernadette Banner darüber, wie man historische Cover besser gestalten könnte. Man kann sich darüber streiten, ob die Cover der alten Penguin Popular Classics, die alle ocker sind und klassische Portraits zeigen, ein bisschen langweilig sind, aber mir haben sie immer gut gefallen. Außerdem sehen sie schmuck und uniform im Regal aus, im Gegensatz zum aktuellen Design, das mit Streifen in unterschiedlichen Signalfarben aufwartet und den Leser stetig einem gewissen Augenkrebsrisiko aussetzt. Die besagten Penguin Popular Classics gab es dazu alle für um die 3 Euro* zu kaufen. Freunde, was waren das für Zeiten.


Zum Hörbuch
Die Lektüre des Buches auf Englisch ist nicht ganz einfach und das trifft auch auf das Hörerlebnis zu. Ich bin an einigen Stellen unbekannten Wörtern begegnet. Außerdem ist die Ausdrucksweise oft verklausuliert, subtil und kompliziert, das muss man mögen.** Zunächst habe ich mir bei Audible eine Version geholt, die von PJ Roscoe gelesen wird (The Brontë Sisters Collection Jane Eyre, Wuthering Heights, and Agnes Grey). Dafür gibt es absolut keine Empfehlung. Das liegt nicht an PJ Roscoe, ihre Stimme ist sehr angenehm, und sie liest grundsätzlich gut vor. Ihre Aussprache ist teilweise etwas ungewohnt aufgrund des nordenglischen Einschlages, der aber thematisch zu den Brontës passt. Mit Alison Larkin kann sie jedoch nicht mithalten, da sie ihren Charakteren keinen eigenen Duktus gibt, so dass im Dialog oft unklar ist, wer gerade spricht. (Fairerweise muss man gestehen, dass mich das zuweilen bei Larkin ein wenig genervt hat, bis ich gemerkt habe, was ich an ihr hatte). Männer- und Frauenstimmen lassen sich bei Roscoes Leseweise ebenfalls nicht unterscheiden. Leider kann sie kein Französisch, was das Verstehen der häufig auftretenden französischen Sätze und teilweise sogar ganzer Dialoge einigermaßen unmöglich macht.*** Die Tonqualität ist so mittel. Das eigentliche Problem ist aber: Bei diesem „ungekürzten” Hörbuch fehlen willkürlich mehrere Seiten an den Kapitelenden, noch dazu an Stellen, die für die Geschichte relevant sind, z.B. bei Kapitel 18 und 19. Das ist extrem agitierend. Daher bin ich ab der Mitte auf die Version von Anna Popplewell gewechselt, die ihre Sache sehr gut macht. Sie kann Französisch aussprechen, aber kein Deutsch (was jedoch nur an einer Stelle relevant ist und meiner Meinung nach kein großes Manko).
* Ungefähr 6 Mark.
** Ich mag es.
*** Es sei angemerkt, dass in vielen englischen (und russischen) Romanen aus dem 19. Jahrhundert recht oft passagenweise Französisch gesprochen wird, ohne dass dies übersetzt wird. Das hatte der Leser damals zu können. In solchen Fällen empfiehlt es sich, eine moderne Ausgabe mit Fußnoten zu erwerben, was aber nicht immer gegeben ist. Meine Collins-Classics-Ausgaben von Jane Eyre und The Professor (auch von Charlotte Brontë) enthalten zum Beispiel keine, weshalb letztere Geschichte, die von einem englischen Lehrer in Brüssel handelt, für mich einigermaßen unverständlich war, weil ich damals noch kein Französisch konnte.
Noch ein paar Spoiler zum Schluss
Hier gönne ich mir noch ein paar Anmerkungen zum ganzen Buch. Sei gewarnt, Leser, hier wirst du möglicherweise Dinge erfahren, die du gar nicht wissen wolltest, bevor du das Buch gelesen hast.
Nimm dich in Acht!
Letzte Chance!
Okay.
Sie kriegen sich am Ende. Die Auflösung ist ganz in Ordnung, aber die Romanze zwischen Jane und Mr. Rochester ist der schwächste Teil des Buches. Seine Läuterung durch Gottes Strafe (Invalidität) scheint angemessen, weil er vorher wirklich kein toller Typ war. Jane hätte etwas deutlich Besseres verdient. Wenigstens begegnen sie sich am Ende einigermaßen auf Augenhöhe (auch wenn er zu diesem Zeitpunkt mit Blindheit geschlagen ist). Immerhin eine der wenigen Geschichten, wo - technisch gesehen - sie den Heiratsantrag gemacht hat.
Ich habe insgesamt leichte Twilight-Anwandlungen bekommen: Er ist viel älter als sie, temperamentvoll, düster, wenn auch im Grunde anständig, überfürsorglich bis stark einengend und heißt Edward. Sie ist ein Teenager, der noch nichts von der Welt gesehen hat und sich zu 98% den Umständen fügt, bis eine absolute Grenze erreicht ist, außerdem angeblich unscheinbar, aber von mehreren Seiten begehrt. Nach den katastrophalen Auswirkungen einer Trennung kriegen sie sich am Ende. Außerdem gibt es einen Vampir auf dem Dachboden (aber keine Werwölfe). In dieses Schema passen auch die Dialoge, in denen sich die Liebenden sehr oft mit Namen ansprechen, obwohl sie allein sind. Ein Beispieldialog:
Mr. Rochester: Jane.
Jane: Mr. Rochester?
Mr. Rochester: Oh Jane …
Jane: What is it, Mr. Rochester?
Mr. Rochester: My Jane.
Jane: Yes, Mr. Rochester.
Die kleinen Taschen und die Bekleidung für alte Puppen, einfach nur schön.
Leider bin ich völlig untalentiert für solche Sachen😔
Liebe Grüße
Petra
Kleidung für Püppi. Von deinen Nähkünsten bin ich total begeistert und es ist so schön beschrieben, dass das Lesen echt Spaß macht. Liebe Grüße Brigitte
Sehr schön zu sehen wie viel Spaß (und Zeit) du zum Nähen hast!
Es gibt an der Nähmaschine einen speziellen Stich für dehnbare Stoffe. Mit dem dürfte der Faden nicht reißen!
Für große Köpfe gibt es spezielle Tricks - einfach mal nachschauen wie das bei den Shirts für Babys gemacht wird!
Liebe Grüße
Miriam
Always insightful. Good work. 😀
Es regnet, endlich Zeit, die Beiträge zu lesen und nicht nur wahrzunehmen. Macht Freude, das zu lesen und obwohl ich das Buch und die Videos nicht kenne, kann ich mir eine Menge vorstellen! Biene
Sehr schön geschrieben!
Liebe Grüße
Christina