China 2024 Teil 8: Aufs Festland
- Vensch
- 9. Feb.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 29. März

Samstag
Heute geht es aufs Festland, ich wache um sechs Uhr auf und kann nicht mehr schlafen. Auf der Dachterrasse ist es warm und ruhig, aber der Himmel ist verschleiert, man kann den Sonnenaufgang nicht sehen. Könnte auch daran gelegen haben, dass die Sonne in einer anderen Richtung aufgeht. Als sie über den Berg links kommt, ist sie schon zu hoch für Morgenröte. Wir sammeln unsere 27 Sachen, meine Schwester ruft bei der Taxiagentur an und bestellt ein Taxi auf acht. Eine halbe Stunde später rufen sie zurück und fragen noch einmal nach, beide Seiten wiederholen so lange den anderen, bis sie vermutlich dasselbe sagen. Ein letztes Mal steigen wir von unserem kleinen Berg runter, mit Koffer, Rucksack und Essen für den ganzen Tag. Das Taxi ist schon da und fährt uns in 20 Minuten für 130 HKD (~ 16€) nach Tung Chung, eine Satellitenstadt von Hongkong im Norden von Lantau Island. Endlich wieder Wolkenkratzer und Fußgängerbrücken.

Ab Tung Chung fährt die Metro über eine unglaublich lange Hängebrücke aufs Festland. Es dauert 30 Minuten bis Kowloon, von wo aus man über besagte Fußgängerbrücken und durch die Mall nach Kowloon West kommt (wir erinnern uns an unsere Odyssee am ersten Tag). Jetzt kennen wir uns ganz gut aus und finden schnell den Weg, er ist sehr gut ausgeschildert. Die Mall ist übertrieben schick, dort sehen wir das wohl schönste öffentliche Klo der Welt. Während ich auf unsere Koffer aufpasse, läuft ein laut singender Chinese vorbei, es ist ca. 9 Uhr. Am Highspeed-Terminal holen wir uns Kaffee und Frühstück (gedämpfter Reis mit Fleischfüllung für mich, ein Starbucks-Bagel, der nach nichts schmeckt, für meine Schwester), um das Restgeld auf der Octopus-Card abzuarbeiten.

Ab der ersten Einlasskontrolle geht es ein ewiges Labyrinth hindurch bis zum Bahnsteig. Ein Schild am Security Check informiert uns, was wir alles nicht mitnehmen dürfen: Scheren, Flüssigkeiten, Diverses. Wir haben alles dabei, aber es interessiert niemanden. Weiter zur Immigration, noch mal Security Check, eine Papierkarte ausfüllen, wer wir sind, wo wir waren und wie lange wir wo hin wollen. Am Einreiseschalter werden Fingerabdrücke kontrolliert, das Gesicht genaustens gemustert und Fragen zum Aufenthalt gestellt. Die 15-tägige Einreisegenehmigung ohne Visum, die es seit diesem Jahr gibt, wird in unseren Pass gestempelt. Von dort aus geht es weiter in eine riesige Abfahrtshalle, nach kurzem Suchen finden wir unser Gate, je nach Wagennummer gibt es zwei Eingänge. Wir haben E-Tickets, am Einlass wird nur unser Pass gescannt. Ein mulmiges Gefühl, kein Papierticket zum Festhalten zu haben. 15 Minuten vor Abfahrt geht das Gate auf und wir dürfen auf den Bahnsteig, wo unser Zug bereits wartet. Es ist recht voll, viele Leute reisen mit viel Gepäck.

Mit den Herbstsachen im Koffer ist der noch einen Ticken schwerer geworden. Ich wuchte beide unsere Koffer in die Gepäckablage über Kopf, wofür mir zwei begeisterte Chinesinnen einen Daumen hoch geben. Die Hochgeschwindigkeitszüge in China sind modern, schick und schnell. Man kann sich gemütlich mit 300 km/h quer durch das Land fahren lassen, für ca. 100 € auf 1000 km. Die Sitze sind bequem und haben viel Beinfreiheit. Wir sitzen in einer Dreierreihe mit einem schlafenden Chinesen. Bis Shenzhen auf dem Festland fahren wir komplett im Tunnel. Ab Grenzübertritt aktivieren wir die nächste e-Sim, die sich problemlos einwählt. Alle paar Minuten kommen Zugbegleiterinnen in lilan Uniformen durch unser Abteil und bieten Mahlzeiten, Snacks, Wasser, Starbuckskaffee und Müllsäcke an. Als es ein paar Sitze weiter von der Decke tropft, klebt eine von ihnen Ducktape drüber. Die Toilette ist einigermaßen sauber, es gibt Papier, Wasser und Seife.

Nachdem ich ein paar Stunden die südchinesische Landschaft beobachtet habe, mache ich ein Nickerchen. Die Frau hinter uns erzählt dem gesamten Abteil sehr laut Vieles auf Kantonesisch, aber irgendwann schlafe ich ein. Um halb vier etwa hole ich mir im Speisewagen ein abgepacktes warmes Essen, Gongbao Chicken für 15 Renminbi (etwa 2 €).* Es ist ein bisschen scharf und sehr lecker. So habe ich mir das vorgestellt, tschüss Hongkong und hallo Volksrepublik.
In Changnan wechselt der Zug die Richtung. Chaos bricht aus als alle Fahrgäste aufstehen müssen, damit die Sitze gedreht werden können. Eine Chinesin erbarmt sich und teilt uns auf Englisch mit, was los ist. Die Sitzbänke werden ausgeklinkt und einmal um die eigene Achse gedreht, bis sie zur neuen Fahrtrichtung passen, dann geht es weiter. Vor dem Fenster ziehen grüne Wiesen, Wälder, lotusbewachsene Teiche und neugebaute Dörfer vorbei. Kühe wechseln sich mit Wasservögeln ab, ab und zu sieht man Wolkenkratzer. Im Zug ist es gar nicht so kalt, ich hatte erwartet, dass die Klimaanlage gnadenlos auf 18 Grad runter kühlt, aber die Temperatur pendelt zwischen 24 und 28 Grad.
Nach sechseinhalb Stunden kommen wir am Bahnhof Hangzhou Ost an, wo wir umsteigen. Wir haben großzügig geplant, falls wir noch einmal durch die Security müssen. Der Fahrstuhl bringt uns direkt in die Abfahrtshalle, die sehr voll ist. Kein Westler in Sicht. Während wir warten, schlendern wir durch die Essensmeile, da gibt es Starbucks, McDonalds, KFC, Costa Coffee und ein paar chinesische Ketten. Im Zug nach Nanjing stelle ich fest, dass mein mitgebrachtes Essen vom Vortag sauer ist. Bei der Hitze draußen wird alles sofort schlecht. Neben uns sitzt eine Familie aus Anhui, die uns interessiert fragt, was wir in China machen. Alle, die wir treffen, glauben, dass wir in China wohnen, westliche Touristen scheint es keine mehr zu geben. Genauso gehen fast alle, die wir treffen, davon aus, dass wir Chinesisch können, wo wir schon einmal da sind. Das steht völlig im Kontrast zu meiner Erfahrung vor 10 Jahren, als man für großes Aufsehen sorgte, wenn man auch nur drei Worte Chinesisch sprach.
Wir fahren knapp anderthalb Stunden. Die Station Nanjing Süd ist riesig. Wir folgen der Beschidlerung bis zu einer gigantischen Taxihalle und geben dem Fahrer die Adresse des Avantgarde-Bookstores, der am Eingang zur Fußgängerzone ist, in der unser Hostel liegt. Die Viertelstunde Fahrt kostet 28 Kuai (ca. 3,7 €). Als ich versuche, das erste Mal mit Alipay zu bezahlen, gibt es eine Fehlermeldung.** Hinter uns hupen Autos, die Straße ist so eng, dass sie nicht vorbeikommen. Während ich versuche, das Problem zu finden, steigt der Fahrer fluchend aus und schiebt geparkte Roller aus dem Weg. WeChat Pay funktioniert auch nicht, aber beim zweiten Anlauf klappt die Zahlung über Ali. So viel Stress am späten Abend, mittlerweile ist es halb 10.
Wir finden das Hostel trotz unzuverlässigem GPS kurze Zeit später. Der Chinese an der Theke spricht kein Englisch, hat aber einen Übersetzer auf dem Telefon. Nach einigem Hin und Her kann er uns vermitteln, dass wir eine Sicherheit hinterlegen müssen (ich kann zwar Chinesisch, habe aber oft Hörverständnisprobleme bei neuen Sprechern und das spezifische Wort kannte ich nicht). Unser Zimmer ist nicht riesig, aber sehr schön. Wir schlafen den Schlaf der Gerechten.
* Offiziell heißt die chinesische Währung Yuan. Gebräuchlich sind aber auch die Ausdrücke Renminbi (Volkswährung) oder Kuai, was wörtlich Stück bedeutet und das Zähleinheitswort für Geld im Chinesischen ist. Zähleinheitsworte sind kategorisierende Worte, die zwischen alles Gezählte und das zu zählende müssen, etwa wie in eine Flasche Bier oder ein Kasten Bier. Nur halt immer, leider auch bei Demonstrativpronomen. Ein längliches Objekt Fisch (一条鱼). Diese vierfüßige Tiere Kühe (这头牛). Oft macht es Sinn, oft aber auch nicht. Zum Glück gibt es eins, das immer geht (个).
** In China ist Bargeld absolut unüblich geworden. Das beliebteste Zahlungsmittel ist WeChat Pay. WeChat ist eine Mischung aus WhatsApp und Facebook. Aber auch mit Alipay, einer PayPal-Alternative vom chinesischen Amazonzwilling Alibaba kann man fast überall bezahlen.
Die kleinen Taschen und die Bekleidung für alte Puppen, einfach nur schön.
Leider bin ich völlig untalentiert für solche Sachen😔
Liebe Grüße
Petra
Kleidung für Püppi. Von deinen Nähkünsten bin ich total begeistert und es ist so schön beschrieben, dass das Lesen echt Spaß macht. Liebe Grüße Brigitte
Sehr schön zu sehen wie viel Spaß (und Zeit) du zum Nähen hast!
Es gibt an der Nähmaschine einen speziellen Stich für dehnbare Stoffe. Mit dem dürfte der Faden nicht reißen!
Für große Köpfe gibt es spezielle Tricks - einfach mal nachschauen wie das bei den Shirts für Babys gemacht wird!
Liebe Grüße
Miriam
Always insightful. Good work. 😀
Es regnet, endlich Zeit, die Beiträge zu lesen und nicht nur wahrzunehmen. Macht Freude, das zu lesen und obwohl ich das Buch und die Videos nicht kenne, kann ich mir eine Menge vorstellen! Biene
Sehr schön geschrieben!
Liebe Grüße
Christina