Nanjing 2020 - Satz mit x
- Vensch
- 15. März 2020
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 31. Jan. 2023
Ein Fast-Reisebericht

Ich hatte mir seit Jahren vorgenommen, ein Auslandssemester in China zu machen. Lustigerweise interessiere ich mich sehr für Sprachen, reise aber gar nicht allzu gerne. Schließlich hatte ich mir dann doch ein Herz gefasst und mich in die Vorbereitungen gestürzt. Gut vier Monate auf einem anderen Kontinent, das macht man ja nicht einfach mal so. Laut Informationsmaterial sollte man sich möglichst früh kümmern, am besten ein Jahr im voraus. Die wichtigsten Eckpfeiler: Partneruniversität, Stipendium, Flug, Unterkunft, Visum (in dieser Reihenfolge). Dankenswerterweise wollte ich nur ein halbes Jahr gehen, daher brauchte ich mich um das Stipendium nicht ein ganzes Jahr im voraus zu bewerben. Die erste Frist lief somit Ende Oktober ab. Man muss allerdings bedenken, dass das "Frühlingssemester" in China schon Mitte Februar startet und nicht wie das deutsche Sommersemester am 1. April. Wer es also ganz knapp halten will, kommt mit einer Vorlaufzeit von gerade mal vier Monaten aus (was aber nicht zu empfehlen ist, es kann ja immer irgendwas schiefgehen).
Also zunächst: Partneruniversität auswählen. Ich habe mich für die Universität Nanjing entschieden, da ich dort die Möglichkeit gehabt hätte, als Gasthörer Kurse über chinesisches Recht zu besuchen. Außerdem ist die Stadt recht hübsch (ich bin nur einmal zwei Tage dort gewesen) und ein nettes Mittel zwischen Modernität und Tradition. Im Großraum Nanjing leben etwa 8 Millionen Menschen, in der Stadt selber gerade mal 5 Millionen. Die Atmosphäre ist deutlich weniger dicht als in Shanghai (dort sind es um die 24 Millionen), wo ich 2014 einen Monat gewohnt habe.
Nanjing liegt in Mittelchina am Yangtse-Fluss, etwa 300 km westlich von Shanghai. Es befindet sich in den Subtropen, im Winter ist das Klima vergleichbar mit südeuropäischen Ländern, es wird recht kühl und nass und es wird nicht geheizt (die Heizgrenze in China liegt am Yangtse, südlich davon wird nicht geheizt). Das hat mir persönlich die meiste Sorge bereitet, daher wollte ich auch das Sommersemester dort verbringen (Leute, die den Winter in Shanghai verbracht haben, schworen, noch nie derart gefroren zu haben). Spätestens ab Juni wird es dann ziemlich heiß (und nass), aber dafür gibt es dann Klimaanlagen.
Über meine Universität bekam ich eine Kontaktperson zugeteilt, die das weitere Prozedere mit mir zu regeln hatte. Ihr Englisch war in Ordnung, auch wenn sie gerne "best retards", statt "best regards" unter ihre Mails schrieb. "Beste Verzögerung" war denn auch das Motto für viele meiner Fragen, die sehr chinesisch manchmal gar nicht, häufig aber mit etwas beantwortet wurden, nach dem ich gar nicht gefragt hatte.
Ich kann chinesische Bürokratie nur als herrlich unstrukturiert beschreiben. Während sie andauert, ist es ein großes Chaos, man weiß nie, was man genau einreichen muss und erfährt es bis zuletzt auch nicht mit Sicherheit, aber am Ende funktioniert es meistens. So war es auch mit der Anmeldung bei der Universität. Es gab ein Online-System für Bewerber, bei dem man sich zunächst registrieren und dann noch einmal ausführlich anmelden musste. Nach der Registrierung fragte ich meine Kontaktperson, ob ich mich lediglich registrieren oder auch zu diesem Zeitpunkt bereits anmelden müsste. Sie antwortete, ich solle mich ruhig schon einmal fertig registrieren. Ein paar Wochen später kam heraus, dass ich mich natürlich hätte anmelden müssen. Fragen zum Anmeldeformular wurden kategorisch mit Schweigen beantwortet. Aber es muss dann alles in Ordnung gewesen sein, denn ich durfte meine Anmeldegebühr bezahlen und bekam meine Zusage (schon) Mitte Dezember per Einschreiben. Sie enthielt auch die Einladung der Universität, das zentrale Schriftstück für einen Visumsantrag.
Für einen Wohnheimplatz hätte ich mich möglicherweise schon Ende November festlegen müssen, vielleicht aber auch im Dezember oder im Januar, je nachdem, wo man auf der Internetseite der Universität schaute, fand man unterschiedliche Angaben. Das tatsächliche Ende der Frist habe ich niemals erfahren. Nachdem man mir zunächst versichert hatte, man werde sich kümmern, war die Frist zu einem späteren Zeitpunkt bei erneuter Nachfrage plötzlich vorbei. Ich könne aber einfach am Tag der Einschreibung ins Wohnheim gehen, man werde dann schon etwas für mich finden. Da es aber scheinbar an der Universität Nanjing keine Einzelzimmer für Auslandsstudierende gibt, sondern nur Zweierzimmer (chinesische Studenten wohnen üblicherweise zu sechst oder acht in einem Zimmer), beschloss ich schließlich, eine Unterkunft außerhalb der Universität zu suchen und vertagte dieses Problem zunächst.
Für ein Teilstipendium beim Deutschen Akademischen Auslandsdienst suchte ich alle Unterlagen zusammen, die ich je in meinem Leben besessen hatte. Hier würde ich empfehlen, einige Zeit einzuplanen, da diverse Empfehlung von Sprachlehrern und Dozenten benötigt werden, die in den Semesterferien teilweise gar nicht erreichbar sind. In meinem Fall haben sich alle meine Professoren sehr bemüht und ich hatte meine Papiersammlung bereits im September zusammen. Die Zusage über den Erhalt eines Stipendiums ist dann etwa Ende Januar oder Anfang Februar zu erwarten, also im Idealfall vier Wochen vor der Abreise. Wer seine Finanzierung sonst nicht zusammen bekommt, muss pokern.
Nicht weniger stressig als eine Bewerbung an der Universität oder für ein Stipendium ist die Beantragung eines chinesischen Visums. Dies ist frühestens ab drei Monaten vor der Reise möglich und wird angeraten ab spätestens vier Wochen vorher. Mag das ganze Prozedere für ein Touristenvisum noch relativ knapp ausfallen, muss man für einen halbjährigen Aufenthalt seine komplette Lebensgeschichte in ein online Formular eintragen (für einen ganzjährigen Aufenthalt benötigt man zudem ein Gesundheitszeugnis und die Formalitäten vor Ort für eine Aufenthaltserlaubnis werden wesentlich komplizierter), nur um dann nach dem Ausdrucken zu erfahren, dass man es hätte auf Englisch ausfüllen müssen. Tatsächlich ermöglicht das Online-Formular der Visumsstelle, dieses so oft wie nötig wieder und wieder auszufüllen, auch wenn man sich nur mit der ersten Formular-Nummer für einen Termin anmelden kann. Natürlich benötigt man für dieses Formular ein Foto, jedoch nicht etwa eines, das für den deutschen Reisepass zugelassen ist, sondern eines, für das die Visumsstelle ihre eigenen Anforderungen stellt. Obwohl man dieses Foto auf das ausgedruckte Formular aufkleben soll, muss man kurioserweise, um das Online-Formular weiter bearbeiten zu können, bereits auf dessen erster Seite ein Foto hochladen, das diesen Anforderungen entspricht.
Letztendlich ist die Behörde natürlich auf alle Eventualitäten vorbereitet und bietet in Ihren Räumlichkeiten sowohl einen Rechner zum überarbeiten des Antragsformulars, sowie einen Drucker und einen Fotoautomaten an, der das benötigte Bild nach allen gewünschten Vorgaben aufnehmen kann (für nur 10 €).
Leider hat sich die Prozedur um die Beantragung eines Visums in den letzten Jahren deutlich verkompliziert. Man kann sein Visum nicht mehr rein per Post oder über eine Agentur beantragen, sondern muss persönlich in der Visumsstelle erscheinen, um seine Fingerabdrücke nehmen zu lassen. Zum Glück gibt es aber seit zwei Jahren eine neue Zweigstelle in Düsseldorf als Unterstelle des Konsulats Frankfurt, so dass sich für mich zumindest die Kosten für die Anreise deutlich minimiert haben.
Die Visumsgebühren selber belaufen sich auf etwa 125 €, die unabhängig davon zu zahlen sind, ob das Visum letztendlich erteilt wird oder nicht. Das Ganze wird dadurch zu einem ausgefuchsten Pokerspiel, dass man Unterkunft und Flug nachweisen muss, bevor der Visumsantrag überhaupt bearbeitet wird. Natürlich wird im Normalfall das Visum so gut wie immer erteilt, aber man weiß ja nie. In den letzten Jahren häufen sich Berichte über Exempel der chinesischen Regierung, die zu bestimmten Gelegenheiten statuiert wurden.
Für die ersten zwei Wochen hatte ich ein Hotel gebucht und für den Zeitraum danach gab ich die Adresse meines Campus an, da ich noch immer keine sichere Unterkunft hatte und man mir geraten hatte mich vor Ort zu kümmern (China ist für seine Online-Betrüger bekannt, man sollte niemals eine Wohnung mieten, ohne diese gesehen zu haben). Auch hatte ich noch keinen Rückflug gebucht, da ich über die genauen Semesterzeiten noch unsicher war.
Es scheint eine Notwendigkeit zu sein, dass, egal wie gut man vorbereitet ist, ein Problem auftritt. Der Teufel steckt mitunter im Detail. In meinem Fall befand sich auf meinem Einladungsschreiben in der Mitte meines Nachnamens ein kleines Loch, weil die Universität Probleme mit dem Umlaut gehabt hatte. Zwar hatte sie diesen auf anderen Dokumenten ersichtlich später eingefügt, dies aber auf diesem zentralen Dokument vergessen. Daher schickte man mich unverrichteter Dinge nach Hause mit der Bitte, die Universität um einen aufklärendes Schreiben mit offiziellem Stempel zu bitten (ein roter Stempel öffnet in China alle Türen). Tatsächlich wurde meine Universität überraschend schnell aktiv und die Ausstellung meines Visums verzögerte sich nur um drei Tage. Ich hatte mich früh gekümmert, als ich mein Visum in den Händen hielt, blieben mir noch immer vier Wochen bis zum voraussichtlichen Abreisedatum.
Nachdem ich alle großen Dinge geregelt hatte, blieb mir nun noch ausreichend Zeit mir über alle kleinen Dinge Gedanken zu machen.
Was tun bei Verlust des Reisepasses? Was bei Verlust anderer wichtiger Dokumente? Wie viele Backups benötigt man und von was? Gibt es in Nanjing eine Boulderhalle?
Mein Impfpass war noch aktuell, zusätzlich legte ich mir eine umfassende Reiseapotheke und diversen Kleinkram zu (Steckeradapter, alle erdenklichen Hygieneprodukte, Kindle-Ausgaben meiner liebsten Klassiker,... ), so als würde ich in den Urwald reisen und nicht in eine Millionenstadt.
Ich verbrachte einige Zeit damit, mir über die Wahl meiner Kurse Gedanken zu machen, obwohl ich diese erst vor Ort endgültig belegen würde. Die Universität Nanjing hat ein Institut für deutsch-chinesische Rechtsvergleichung, das Sprachkurse für deutsche Rechtssprache anbietet - ich war begeistert! Auch studierte ich die Karte des Campus, der einer kleinen Stadt glich, und der umliegenden Gegebenheiten. Aus Jux und Dollerei versuchte ich die Anzahl der Starbucks-Filialen zu ermitteln, denn ordentlicher Kaffee ist in China selten und teuer. Eine genaue Anzahl lässt sich nicht finden, aber in Shanghai sind es 600.
Wenn man nach China reist, sollte man auch immer im Hinterkopf behalten, dass dort Google Facebook, YouTube und Co nicht funktionieren. Das macht einen Strauß an Ersatz-Apps für den täglichen Gebrauch notwendig. Zusätzlich besteht die Frage nach einem guten VPN, der das Nutzen dieser Dienste trotzdem ermöglicht. Grundsätzlich bieten soetwas auch die deutschen Universitäten an, um das Recherchieren zu erleichtern, möglicherweise ist das in China aber nicht ganz legal, der rechtliche Status ist wohl umstritten.
Auch meldete ich mich bei der elektronischen Erfassung von Deutschen im Ausland (Elefand) an. Die schicken dann informative Mails darüber, wo gerade Terrorgefahr herrscht oder - Gott bewahre - eine Gesundheitskrise.
Ich hatte Listen für alles: Kleidung für China (die optimale Auslastung des Gepäcks mit den Kleidungsstücken, die den statistischen Wetterverhältnissen vor Ort am besten gerecht werden würden), einen Leseplan, Dinge die ich in China besorgen wollte, eine Liste mit Leuten, die während meiner Abwesenheit Geburtstag haben würden und was ich ihnen als Geschenk schicken könnte und vieles mehr.
Bereits zwei Wochen vor dem voraussichtlichen Abflugdatum hatte ich meinen Koffer überwiegend gepackt und auch bei vorheriger Gelegenheit testweise gewogen.
Ab etwa zehn Tagen vor meinem Abreisedatum häuften sich die Nachrichten über eine mysteriöse Lungenkrankheit in Wuhan. Ich überlegte noch meine Abreise zu verschieben, als mich meine Fluggesellschaft darüber informierte, dass mein Flug nach China wegen dem Coronavirus abgesagt worden sei. Daraufhin brach institutionelles Chaos aus. Die Universität kündigte die Verschiebung des Semesters an, unterschiedliche Stellen nannten unterschiedliche Daten und die Lage wurde immer undurchsichtiger. Nach etwa drei Wochen voller sich widersprechende Informationen und immer größer werdendem Chaos, beschloss ich schweren Herzens der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und sagte meine Reise komplett ab.
Die kleinen Taschen und die Bekleidung für alte Puppen, einfach nur schön.
Leider bin ich völlig untalentiert für solche Sachen😔
Liebe Grüße
Petra
Kleidung für Püppi. Von deinen Nähkünsten bin ich total begeistert und es ist so schön beschrieben, dass das Lesen echt Spaß macht. Liebe Grüße Brigitte
Sehr schön zu sehen wie viel Spaß (und Zeit) du zum Nähen hast!
Es gibt an der Nähmaschine einen speziellen Stich für dehnbare Stoffe. Mit dem dürfte der Faden nicht reißen!
Für große Köpfe gibt es spezielle Tricks - einfach mal nachschauen wie das bei den Shirts für Babys gemacht wird!
Liebe Grüße
Miriam
Always insightful. Good work. 😀
Es regnet, endlich Zeit, die Beiträge zu lesen und nicht nur wahrzunehmen. Macht Freude, das zu lesen und obwohl ich das Buch und die Videos nicht kenne, kann ich mir eine Menge vorstellen! Biene
Sehr schön geschrieben!
Liebe Grüße
Christina