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Lektüre im Dezember 2020

  • Autorenbild: Vensch
    Vensch
  • 31. Dez. 2020
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 31. Jan. 2023

Zwischenstand nach der Lektüre im Dezember 2020


Der Dezember begann mit dem Projekt noch zwei möglichst dicke Bücher durchzubekommen und endete mit dem Versuch, zum Jahresende noch einiges abzuarbeiten. Dabei bin ich irgendwie thematisch in den nahen Osten abgerutscht.



64. Tod und Teufel

Frank Schätzing

509 Seiten

3/10

Köln im 13. Jahrhundert, ein schlauer Bettler kommt ungewollt einer Patrizierverschwörung auf die Schliche und muss fortan um sein Leben fürchten.

Wer sich für das historische Köln interessiert, aber keine Lust auf ein Geschichtsbuch hat, kann sich hier leicht verdaulich berieseln lassen. Der Lokalkolorit reicht jedoch nicht aus, um über die vorhersehbare und nicht besonders einfallsreiche Handlung hinwegzutäuschen. Zum Glück hält der Autor sich nicht für so intelligent wie Dan Brown (sich selber einschätzt), nutzt aber dieselbe Erzähltechnik, bei der Personen, die die letzten 48 Stunden miteinander verbracht haben, sich (und damit dem vergesslich Leser) immer wieder die wichtigsten Vorkommnisse schildern. Normalerweise dient die Beschreibung der Erlebnisse zweier gegeneinander arbeitender Parteien zur gegenseitigen Ergänzung, nicht dazu, das Geschehene von beiden Seiten (doppelt) nachzuerzählen.

Ähnlich wie bei Dan Brown sind auch die unorganischen Spannungsmechanismen, die häufig durch völlig irrationales Verhalten der Charaktere ausgelöst werden (nein, wir fragen den sterbenden Mann nicht danach, was er weiß, er muss sich ausruhen, etc.).

Die Charaktere sind oberflächliche Scherenschnitte und ihre Motivation und Antriebe bleiben völlig uninteressant. Der pseudohistorische Ansatz wird immer wieder durch allzu moderne Dünkel durchbrochen. Kann man übrigens, wenn man aus dem Sturm in ein Lagerhaus kommt, eine Fackel mal eben so entzünden?

Es liest sich schnell und unkompliziert, Überraschungen gibt es keine.

Wem "Der Name der Rose" von Umberto Eco zu intellektuell ist, kann stattdessen dieses Buch lesen.



65. Das frühe Persien

Josef Wiesehöfer

127 Seiten

3/10

Eine Einführung in das frühe Persien aus der Beck’schen Reihe.

Leider nicht besonders gelungen, obwohl der Autor offensichtlich für sein Thema brennt. Vielleicht kennt er sich auch zu gut aus, denn er schafft es nicht, einen Haufen unbekannter und sprachlich fremdartiger Personen- und Ortsnamen derart zu präsentieren, dass dem Leser nicht aus purer Verwirrung die Augen zu fallen. Ich habe nicht umsonst zwei Monate für dieses schmale Bändchen gebraucht.

Ein paar Namen sind möglicherweise Hängen geblieben, Zusammenhänge aber keine. Falls jemand ein besseres Buch als Einstieg für die Perser kennt, gerne Bescheid geben.

Keine Empfehlung!



66. Käptn Blaubär

Walter Moers

629

Erstveröffentlichung 1999

5/10

Der Blaubär erzählt seine halbe Lebensgeschichte, da wimmelt es von Zwergpiraten, Klabautergeistern, Rettungssauriern, Waldhexenspinnen, Blutschinken, Finsterbergmaden, Stollentrollen und übermäßig langen Aufzählungen. Grundsätzlich hat Walter Moers sich einige nette Kreaturen und Begebenheiten ausgedacht, diese aber viel zu breit ausgewälzt. Keiner der Charaktere kommt über eine oberflächliche Parodie oder ein Klischee hinaus, weshalb ihr Auftauchen und Wiederauftauchen auch keine emotionalen Spuren beim Leser hinterlässt. Das Buch ist mit fortschreitender Seitenzahl zunehmend selbstreferentiell, wofür aber das Niveau der Geschichte absolut nicht ausreicht.

Das Buch ist mit seinen 700 Seiten mindestens doppelt zu lang. Besonders der Aufenthalt in Atlantis gerät ob der ständigen Wiederholung zuvor bereits geschilderter Geschehnisse besonders dröge.

Das ist schade, denn zwischendurch blitzt immer wieder wirklich Komisches oder herrlich Satirisches durch. Durch seine Länge hat sich das Buch in seiner Wertung für mich kontinuierlich heruntergearbeitet, zuletzt war das Zuendelesen eher Pflicht als Kür.

Das Ende war dann wieder nett, aber bis dahin hat es sich extrem gezogen.

Wer wirklich gelungene lustige Fantasy lesen möchte, sollte lieber Terry Pratchett lesen.



67. Postmodernism for Historians

(“Postmodernismus für Historiker”)

Callum G. Brown

200 Seiten

4/10

Die große These des Postmodernismus ist, dass "Wahrheit" und "Realität" nicht abbildbar sind, weil die Welt immer durch den Betrachter subjektiv erfahren wird. Daher braucht man gar nicht erst zu versuchen, einen objektiven Wissensstand zu einem Thema zu erarbeiten.

Der Autor betont mehrfach, es handele sich nicht um eine Ideologie, sondern um eine Wissensphilosophie. Das ist sehr praktisch, da es das Vertreten von Ideologien wie Marxismus, Feminismus und Postkolonialismus neben dem Postmodernismus ermöglicht (so der Autor). Das trifft sich wirklich gut, denn der Postmodernist nutzt seine destruktive Nicht-Ideologie dazu, bestehende Strukturen anzugreifen, vor allem das Elitentum, Geschlechterrollen, Rassismus, Cis-& Heteronormativität, Imperialismus, die vermeintliche Überlegenheit des Christentums, Ausnutzung der Umwelt und natürlich den Kapitalismus, Probleme die für Postmodernisten alle in der Aufklärung wurzeln. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ein Wissenssystem, dass es dem Westen ermöglicht hat, andere Völker besser zu unterdrücken, als die anderen Völker sich gegenseitig unterdrückt haben, zwar kausal ist, nicht aber letzte Konsequenz geblieben ist, wie etwa das Aufkommen der Säkularisierung, des Sozialstaates und die Abschaffung der Sklaverei beweisen.

Dabei sollen die Methoden der Aufklärung gar nicht verworfen werden (denn sie funktionieren ja sehr gut), sondern nur ihre gefährliche Wissensphilosophie, die auf 'Wahrheitsfindung', 'Fakten', 'Realität' und lauter solche abstrusen Dinge abzielt.

Merkwürdigerweise scheint die Abkehr von dem Versuch der Wahrheitsfindung jedoch nicht zum daraus logisch sich ergebenden Abschaffen des wissenschaftlichen Apparates zu führen, sondern nur zu einer Proliferation subjektiver Narrative, die jedoch aufgrund der Identität des Autors weitgehend von der bisher obligatorischen Nutzung von Quellen freigesprochen werden. Wenn man aber die Wahrheitsfindung drangegeben hat, bleibt als einziger Grund noch Bücher zu schreiben Narzismus, man hört sich einfach gerne selber reden.

Ein weiterer Aspekt des Postmodernismus ist der Poststrukturalismus. Weil ja alles nur ausgedacht und subjektiv ist, kann es logischerweise auch Strukturen (etwa gesellschaftliche Klassen) nicht geben und deshalb können sie auch nur durch ihre diskursive Einbettung in der Kultur Einfluss auf das Geschehen nehmen. Deshalb lacht der Postmodernist auch den Marxisten aus, der alles vom Standpunkt der Klasse her analysiert. Das lässt mich an der obigen Aussage zweifeln, dass man gleichzeitig Postmodernist und Marxist (oder irgendein anderer -ist) sein kann. Aber dann gibt es doch wieder Strukturen, die der Postmodernist durchdringen muss, und sie sind alle böse (ich vermute, das gilt auch für die Demokratie und das Gesundheitssystem).

Weiterhin ist Individualismus ganz wichtig, obwohl "Der Autor" (abstrakt und allgemein, nicht der Autor des Buches) gar nicht in der Lage ist, etwas neues, vom bisherigen Diskurs losgelöstes, zu produzieren, da alles bereits da sein muss, um vom Leser verstanden zu werden. Intertextualität (das Borgen aus anderen Texten) ist überall. Wenn Der Autor tot ist, weil jeder durch seine Kulturerfahrung geprägt wird und gar kein echtes eigenes Selbst hat, wie kann dann jemand noch Initiative ergreifen und selbstbestimmt handeln? Der Autor (des Buches) behauptet diese Widersprüche aufzulösen, tut es aber nicht.

Wenigstens sind wir uns einig, dass persönliche Merkmale wie Geschlecht, Rasse etc. niemanden von wissenschaftlicher Arbeit ausschließen dürfen.

Autorität wird in jeder Art abgelehnt. So kann es z.B. auch keine Autorität auf einem Sachgebiet geben, da ja nichts jemals objektiv erfahren werden kann. Wenn man das so hört, muss man glauben, dass Postmodernismus ein Problem der Schneeflockengeneration ist, die sich nicht mehr auf Kompromisse einlassen kann. Ich glaube, der Mensch ist nicht dazu gemacht, alle Sicherheiten und Strukturen aufzugeben.

Auch Moral ist nicht empirisch gebildet, sondern muss durch jeden selbst festgelegt werden. Ich frage mich, wie diese Denker in der Lage sind, geschichtlich gelernte Lektionen wie etwa aus der Kulturrevolution in China oder der Religionskriege in Europa, einfach abzutun. Wer nicht aus der Vergangenheit lernt, macht dieselben Fehler immer wieder. Selbst wenn sich die Vorstellung zu “gut und richtig” mitunter gewandelt hat, hat niemand ein Interesse daran, gewalttätiger Willkür ausgesetzt zu sein. Das zu verhindern halte ich für ein legitimes Ziel.

Genauso bedenklich finde ich die Ablehnung des Fortschrittsdenkens. Natürlich ist ein humaner und menschengerechter Fortschritt erstrebenswert, aber ist es wirklich richtig, die Eindämmung von Kindersterblichkeit, die Erhöhung des Lebensstandards und die Entwicklung zu mehr persönlicher Freiheit NICHT als Fortschritt zu begreifen? Wonach strebt man dann? Was bringt den Postmodernisten dazu, morgens aufzustehen?

Was der Postmodernist dafür gut kann, ist dekonstruieren. Alles problematisieren, alles zerdenken, überall Diskurse erkennen. Teilweise muss der Diskurs auch erst durch Rekonstruktion “entdeckt” werden, um ihn dann “erfolgreich” (also nach eigenen, subjektiven Kriterien), dekonstruieren zu können. Das kommt mir doppelt fehleranfällig vor.

Zumindest setzt sich das Buch am Ende mit den Kritikern des Postmodernismus auseinander, kann aber für mich keinen der Kritikpunkte aus dem Weg räumen.

Ich habe kein Problem mit Postmodernismus als epistemologischer (wissenserkenntnistheoretischer) Philosophieströmung, ich bin aber gegen jede Einführung in die Populärkultur. Völlig verkopftes Problematisieren löst keine echten Probleme.



68. Der Nahostkonflikt - Geschichte, Positionen, Perspektiven

Muriel Asseburg, Jan Busse

127 Seiten

7/10

Eine solide kleine Einführung in die Konflikte Israels mit seinen arabischen Nachbarn. Das Thema ist recht unparteiisch aufbereitet. Es gibt ein paar Wiederholungen, die aber zum Verständnis beitragen. Die Festgefahrenheit der Situation wird eingängig veranschaulicht.

Spannend fand ich die Erklärung arabischer oder hebräischer Namen (etwa dass “Hisbollah” “Partei Gottes” bedeutet).

Ich war etwas überrascht, habe ich doch hier die Bestätigung der Aussage aus der "Kleinen Kolonialgeschichte" gefunden, dass Israel eine der letzten Kolonialmächte der Erde darstellt.

Jetzt habe ich einen guten Überblick über die Situation.



69. Being Aware of Being Aware

(Bewusstsein bewusst sein)

Rupert Spira

102 Seiten

5/10

Der Autor versucht zu vermitteln, was Meditation ausmacht: sie soll den Meditierenden in den Grundzustand des Bewusstseins zurückführen, an dem nichts dieses Bewusstsein überlagert. Dieser Zustand des bloßen Bewusstseins sei dann einer des Friedens und der Zufriedenheit. Damit löse sich der Meditierende von der Suche nach Glück durch das Überlagern des Bewusstseins und wende sich hin zur Rückbesinnung auf dieses. Warum aber dieser Grundzustand ein glücklicher und zufriedener sein soll, hat sich mir nicht erschlossen.

Das kurze Buch ist selbst wie ein großes Mantra oder Gebet formuliert, der Autor versucht seine Kernideen über Bilder und Wiederholung trance-artig in das Bewusstsein des Lesers zu transportieren. Dadurch ist die Lektüre am Stück nicht zu empfehlen.

Ich bin mir nicht sicher, ob mir die moderne Bildsprache gefällt (es kommt immer wieder der Vergleich des Bewusstseins mit dem Film auf der Leinwand, wobei die Leinwand, die das Bewusstsein darstellt, durch den auf ihr abgebildeten Film, der Erfahrungen und Erlebnisse darstellt, nicht verändert wird). Zudem bemüht Spira diverse Parallelen aus den großen Weltreligionen und behauptet, diese würden genau das von ihm Gezeigte meinen, da bin ich etwas skeptisch.

Das Buch ist keine praktische Anweisung zum Meditieren, bietet aber ein besseres Verständnis des Ziels an, obwohl die Methode zur Erreichung des Ziels eher vage bleibt.

Möglicherweise ein Einstieg in die Thematik, aber nicht sonderlich handfest.


Wer eine ganz knappe und klare Einleitung ohne viel Spiritualität mit Handlungsanweisung zu dem Thema sucht, kann diesen kurzen Artikel lesen: How to Meditate | Sam Harris



70. Meine Hoffnung auf Frieden

Jehan Sadat

224 Seiten

7/10

In diesem recht persönlichen Buch setzt sich die Witwe des 1981 ermordeten ägyptischen Staatspräsidenten Anwar Sadat mit dem Nahostkonflikt, dem Islam und dem arabischen Feminismus auseinander.

Jehan Sadat, 1933 als Tochter einer Britin und eines Ägypters in Kairo geboren, hat ein turbulentes Leben gehabt (nachzulesen in ihrer bewegenden Autobiographie "Ich bin eine Frau aus Ägypten"). Nach dem Tod ihres Mannes ist sie seinen Weg des Friedens weitergegangen, der sie schließlich zu einem Lehrstuhl in den USA geführt hat.

Ein bewegender Bericht einer Muslimin, die ihre Lebensaufgabe darin sieht, für Frieden und Völkerverständigung einzutreten. Sie trennt in ihrer Einschätzung der nahöstlichen Gesellschaften klar zwischen Werten des Islams und arabischen Traditionen, letztere widersprechen dabei ihr zufolge teilweise der Friedensbotschaft und anderen Werten ihres Glaubens.

Auch wenn ihre Autobiographie deutlich packender war, die Lektüre lohnt sich. Eine beeindruckende Frau.


Komentar


Kommentare (6)

Invitado
15 may 2024

Die kleinen Taschen und die Bekleidung für alte Puppen, einfach nur schön.

Leider bin ich völlig untalentiert für solche Sachen😔

Liebe Grüße

Petra

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Invitado
19 abr 2024

Kleidung für Püppi. Von deinen Nähkünsten bin ich total begeistert und es ist so schön beschrieben, dass das Lesen echt Spaß macht. Liebe Grüße Brigitte

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Invitado
07 abr 2024

Sehr schön zu sehen wie viel Spaß (und Zeit) du zum Nähen hast!

Es gibt an der Nähmaschine einen speziellen Stich für dehnbare Stoffe. Mit dem dürfte der Faden nicht reißen!

Für große Köpfe gibt es spezielle Tricks - einfach mal nachschauen wie das bei den Shirts für Babys gemacht wird!


Liebe Grüße

Miriam



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Invitado
12 feb 2024

Always insightful. Good work. 😀

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Invitado
21 oct 2023

Es regnet, endlich Zeit, die Beiträge zu lesen und nicht nur wahrzunehmen. Macht Freude, das zu lesen und obwohl ich das Buch und die Videos nicht kenne, kann ich mir eine Menge vorstellen! Biene

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Invitado
30 jul 2023

Sehr schön geschrieben!

Liebe Grüße

Christina

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