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Gedichte von Ina Seidel

  • Autorenbild: Vensch
    Vensch
  • 30. Juli 2023
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 31. Juli 2023

- Melancholiewarnung -


𝔊𝔢𝔡𝔦𝔠𝔥𝔱𝔢 - 𝔈𝔦𝔫𝔢 𝔄𝔲𝔰𝔴𝔞𝔥𝔩

Ina Seidel

Ersterscheinungsjahr 1949

5/10

136 (140) Seiten


Ein Gedichtband von Ina Seidel, der Autorin einer meiner Lieblingsballaden Die Regenballade, leider in Fraktur*. Der Leser bekommt viel Natur, das bewegt so mittel. Es gibt aber auch viel Melancholie, Schmerz und Abschied, das gelingt sehr gut und reißt mit. Seidels evangelische Prägung schimmert deutlich durch die Seiten und ihr Glaube an ein Jenseits, in dem die Verstorbenen sich wiedersehen werden, spendet Trost. Es folgt eine kleine Auswahl der besten Gedichte, die man überraschenderweise nicht im Internet findet.



Herbst



Noch stehen Sonnenblumen braun und golden.

Holunder hängt voll schwarzer Beerendolden.

In Busch und Stauden schwelgen Amseln, Meisen,

Sie werden satt und denken nicht an Reisen.


Die Stare sammeln schwirrend sich in Scharen

Und schrein erregt von Aufbruch, von Gefahren.



Die leere Hürde und der Schäferkarren

Der Wiederkehr von Hirt und Herde harren.

Sie rauscht heran im Staub der Stoppelscholle,

Blökt hoch und tief und riecht nach Milch und Wolle.


Der Schäfer geht zur Ruh bei seinen Schafen

Nun wird es still und dunkel, denn sie schlafen

Der schwarze Hund streicht um der Hürde Pfosten

Der Mond mit allen Sternen kommt von Osten. –



Der schwarze Dornenwald. Der Beeren Scharlachrot.

Der Drosseln Lustgeschrei. Der Drosseln Sprenkeltod.

Die blutgestirnte Nacht. Das nackte Knospenreis.

Taunass das Moderlaub. Der Raureif und das Eis.



Einem guten Herbstgedicht kann ich mich nie erwehren. Auch von Rilke hat mir neben dem bekannten Der Panther nur sein Herbstgedicht Herbsttag gefallen.




In Ulrike setzt Seidel sich mit dem Tod des eigenen Kindes auseinander. Ulrike Seidel (1915–1918) war Ina Seidels zweites Kind.


Ulrike


Als du aus dem Namenlosen tauchtest

Hold mich spiegelnd in dem blinden Blick,

Sprachlos deinen süßen Atem hauchtest,

Ach, da hielt ich mich für dein Geschick.

Und da gab ich dir den großen Namen,

Um dein fließend Leben einzurahmen.


Goldgestickt auf schwarzem Sammet klang mir

Jener Name, der Ulrike hieß,

Und mein Herz in jenem Namen sang dir

Hoffnung, die wie sanfter Südwind blies:

Königlicher Name alter Zeiten

Sollte Schutz um dich, du Kindchen, breiten.


Doch die roten Fiebertage kamen,

Und sie gruben dir das kleine Grab.

Ganz beladen mit dem schweren Namen

Gingst du - und da nahm ihn Gott dir ab.

Und da reichte aus dem Dunkel nieder

Seine Hand mir stumm den Namen wieder.


Schöner Kronreif, den du doch nicht brauchtest,

Hängt nun arm und leer in meiner Hand.

Namenlos ins Unbekannte tauchtest

Du zurück und lächelst unverwandt:

Weder Wort noch Name soll uns trennen,

Nur am Leuchten sollen wir uns kennen.




Auch in Da kann ich noch nicht hin - geht es um Abschied und Jenseits. Das Gedicht ist bittersüß in seinem Schmerz im Hier und seinem unerschütterlichen Glauben an ein Leben nach dem Tod.


Da kann ich noch nicht hin –


Du hast nun die Gezeiten

Ganz hinter dir,

Und darum droht nie wieder

Ein Winter dir.


Du brauchst nicht zu erstarren

In Schnee und Eis,

Und auf den Tag zu harren,

Den keiner weiß.


Du gibst die Frucht gelassen

Dem Herbst zum Raub

Und treibst schon wieder Blüten

Und junges Laub.


Du bist schon in dem Garten

Und wurzelst tief darin –

Da möchte ich wohl auch sein,

Da kann ich noch nicht hin. –



Abschließend noch ein bisschen Kontext zur Autorin: 1885 geboren, wird Ina Seidel als zweite Frau überhaupt in die Preußische Akademie der Künste berufen. Leider ist sie zur Zeit des Nationalsozialismus ein großer Hitlerfan. Das war aber zumindest kein einseitiges Vergnügen, denn Hitler war auch ein großer Seidelfan und setzte sie auf die sogenannte Gottbegnadeten-Liste” (warum tief stapeln, wenn man die Weltherrschaft ergreifen will). In diesem Zusammenhang wird immer von Seidels Huldigungsgedicht Der Lichtdom gesprochen, das man aber heute nirgendwo lesen kann. Später soll sie sich mit der Vergangenheit und der eigenen Mitschuld auseinandergesetzt haben. Sie stirbt 1974.**


** Quellen: Wikipedia sowie stichprobenartig: https://www.deutsche-biographie.de/sfz120922.html, http://www.lewin-fischer.de/books/rororo129.htm, Deutsches Literaturlexikon Band 17 (1997), https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/ina-seidel/. Spezifisch zur NS-Vergangenheit könnte man reinschauen in: Ernst Klee: Ina Seidel. In: ders.: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007 (das habe ich mir aber aus Zeitgründen gespart, sonst müsste ich mein Hobby zum Beruf machen).


Comments


Kommentare (6)

Gäst
15 maj 2024

Die kleinen Taschen und die Bekleidung für alte Puppen, einfach nur schön.

Leider bin ich völlig untalentiert für solche Sachen😔

Liebe Grüße

Petra

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Gäst
19 apr. 2024

Kleidung für Püppi. Von deinen Nähkünsten bin ich total begeistert und es ist so schön beschrieben, dass das Lesen echt Spaß macht. Liebe Grüße Brigitte

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Gäst
07 apr. 2024

Sehr schön zu sehen wie viel Spaß (und Zeit) du zum Nähen hast!

Es gibt an der Nähmaschine einen speziellen Stich für dehnbare Stoffe. Mit dem dürfte der Faden nicht reißen!

Für große Köpfe gibt es spezielle Tricks - einfach mal nachschauen wie das bei den Shirts für Babys gemacht wird!


Liebe Grüße

Miriam



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Gäst
12 feb. 2024

Always insightful. Good work. 😀

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Gäst
21 okt. 2023

Es regnet, endlich Zeit, die Beiträge zu lesen und nicht nur wahrzunehmen. Macht Freude, das zu lesen und obwohl ich das Buch und die Videos nicht kenne, kann ich mir eine Menge vorstellen! Biene

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Gäst
30 juli 2023

Sehr schön geschrieben!

Liebe Grüße

Christina

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