England im 18. Jahrhundert
- Vensch
- 26. Mai 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Juni 2024
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England in the Eighteenth Century* (England im 18. Jahrhundert)
J. H. Plumb
Ersterscheinungsjahr 1950
214 (224)
6/10
Als ich dieses Buch über die Zeit von Jane Austen und das Jahrhundert vor meinem Lieblingsjahrhundert in einem Bücherschrank sah, gab es nur eine richtige Entscheidung. Geschichtsprofessor J. H. Plumb fasst auf 200 Seiten ein Jahrhundert britischer Geschichte (1714 - 1815) zusammen. Dabei berichtet er ausgewogen über Soziales, Alltag und Politik.
Politik

Das Jahrhundert wird eingeteilt in die drei Zeitalter der führenden Politiker Walpole, Chattham und Pitt. Die politische Landschaft ist geprägt von extremer Vetternwirtschaft, nur wer Leute kennt und spurt, bringt es zu etwas. Die Zahl der noblen Familien ist so gering, dass man jeden politischen Rivalen kennen kann (vielleicht sind die verrückten Zufälle in der Literatur zum Beispiel von Dickens also doch gar nicht so verrückt).
Wichtige globalhistorische Ereignisse, die in dieses politische Jahrhundert fallen, sind: der siebenjährige Krieg (1756-1763), die amerikanische Unabhängigkeit (1776), die französische Revolution (1789), die napoleonischen Kriege (1792-1815), die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei und das Einsetzen der industriellen Revolution (in der zweiten Hälfte).
Dass das überhaupt etwas geworden ist mit dem britischen Weltreich im 19. Jahrhundert, überrascht nach der Lektüre. Man bekommt einmal mehr ein Gefühl von Demut ob der Tatsache, dass Geschichte in der Rückbetrachtung ganz anders aussieht als für die Beteiligten.
Soziales
Soziale Umbrüche werden bestimmt durch die Einhegung der Commons, die eine Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte auslöst. Die Sterberate ist hoch aufgrund schlechter hygienischer Verhältnisse in den Städten, die ihre Einwohnerzahl nur durch Zuwanderung halten können. Die Urbanisierung ist insgesamt Fluch und Segen, sie führt auch zu mehr Bildung und einer neuen Innovationsdynamik.
Die Lebensumstände der Unter- und Mittelschicht sind prekär und unstet, Armut und Leid sind dauerhaft präsent. Absicherung gibt es nicht, auch wenn sich Gemeinden und Kirche bemühen, die Armen zu unterstützen. Letztlich bleibt den Mittellosen nur das Arbeitshaus, in dem sie für ein Minimum an Kost und Logis schuften müssen.
Immer wieder gibt es Hungersnöte, obwohl in der zweiten Hälfte ein extremes Bevölkerungswachstum einsetzt, das die Industrialisierung begleitet. Der Fortschritt wird eingeläutet durch Erfindungen wie die Dampfmaschine, die erste Spinnmaschine und die Eisenbahn. Zum ersten Mal wird die Natur der chemischen Elemente ergründet. Entwicklungshemmnisse ergeben sich dagegen aus schlechter Infrastruktur und einem unterentwickelten Bankwesen.
Geistig-Kulturelles
Die großen religiösen Strömungen der Zeit sind Methodisten, Dissenter und Wesleyaner. Zumeist begünstigen diese den starken Arbeitsethos der Unterschicht, unterstützen aber auch, dass die Unterklasse in sich geschlossen bleibt, da sie sich gegen moderne Bildung richten. Kulturell ist zu erwähnen, dass tolle Landschaften gemalt werden und sich die Literatur vom Gedicht als zentralem Fokus zum Roman wendet.
Koloniales: Irland und Indien
Die Iren werden von den Briten ausgeblutet und unterdrückt, Aufstände werden wiederholt niedergeschlagen. Indien wird in diesem Jahrhundert von einem Handelsposten zur Kolonie, ein Vorgang, während dessen sich die britische Attitüde im Land laut Plumb von respektvollem Interesse zu arrogantem Sendungsbewusstsein wandelt. Für seine Zeit scheint mir der Autor recht ausgewogen mit dem Themenkomplex umzugehen. Seiner Ansicht nach war zwar die Herrschaft und Verwaltung der Briten gerechter und gedeihlicher als die indigene, nötigte den Betroffenen aber in ihrer Spiritualität und Würde zu viel ab.
Fazit
Das Buch ist leider für Nichtbriten etwas unzugänglich, da zentrale Begriffe wie Whig oder Tory nicht erklärt werden** und große Persönlichkeiten, die vermutlich jedes britische Schulkind kennt, mit einer Familiarität eingeführt werden, die den Ahnungslosen kaum weniger ahnungslos zurücklässt.
Was die politischen Ausführungen, Intrigen und Abläufe angeht, hat mich das Buch immer mal wieder abgehängt. Dankenswerterweise wechseln sich staatspolitische Erzählungen ab mit Einblicken in die sich durch die einsetzende Industrialisierung verändernden Sozialstrukturen und Kulturgeschichte. Diesen ist gut zu folgen.
Ich finde es immer etwas seltsam, wenn Autoren, die über die Geschichte ihres Landes schreiben, sich Jahrhunderte zurück immer noch mit einem Volk als Ganzes identifizieren. Plumb schreibt gern synonym zu „die Briten” auch „wir”, wie in „Dieser Krieg schnitt unsere Ressourcen ab/nahm uns unsere Kolonien”. So ein weit zurückgehendes Geschichtsbewusstsein ist dem Deutschen eher fremd, der ja bis 1871 Preuße, Westphale oder Bayer war (und es zum Teil heute noch ist). Und auch dieser Tage schreibt man wohl eher nicht „in unserem Lande”, wie man das oft in chinesischen Texten liest, wo in Fachartikeln gerne statt China der Ausdruck „mein Land” (我国) verwendet wird.
Alles in allem lohnt sich das Buch aber, obwohl es sicherlich noch bessere Bücher zu dem Thema gibt.
* Vermutlich wäre der Titel präziser und heute politisch korrekter „Great Britain in the Eighteenth Century”.
** Nach einer kurzen Recherche scheinen Tory und Whig in diesem Zeitraum eher willkürliche Bezeichnungen zu sein. Zwar waren Tories konservativ und Whigs liberal, dies drückte sich aber nicht wirklich in einem kohärenten politischen Programm aus.
Bildnachweise:
Titelbild: KI generiert
Krönungsporträt Georgs III von Allan Ramsay - vgGv1tsB1URdhg at Google Cultural Institute maximum zoom level, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23604082
Die kleinen Taschen und die Bekleidung für alte Puppen, einfach nur schön.
Leider bin ich völlig untalentiert für solche Sachen😔
Liebe Grüße
Petra
Kleidung für Püppi. Von deinen Nähkünsten bin ich total begeistert und es ist so schön beschrieben, dass das Lesen echt Spaß macht. Liebe Grüße Brigitte
Sehr schön zu sehen wie viel Spaß (und Zeit) du zum Nähen hast!
Es gibt an der Nähmaschine einen speziellen Stich für dehnbare Stoffe. Mit dem dürfte der Faden nicht reißen!
Für große Köpfe gibt es spezielle Tricks - einfach mal nachschauen wie das bei den Shirts für Babys gemacht wird!
Liebe Grüße
Miriam
Always insightful. Good work. 😀
Es regnet, endlich Zeit, die Beiträge zu lesen und nicht nur wahrzunehmen. Macht Freude, das zu lesen und obwohl ich das Buch und die Videos nicht kenne, kann ich mir eine Menge vorstellen! Biene
Sehr schön geschrieben!
Liebe Grüße
Christina