Die Kunst des Nähens Teil 3
- Vensch
- 3. Dez. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Die Suche nach dem verlorenen Unterfaden

Nicht unabsichtlich hörte Teil 2 an der spannendsten Stelle auf: Da stand ich - mit meinem filigranen Genähsel - ohne Unterfaden und ohne Rat. Die geliehene Maschine kam ohne Gebrauchsanweisung, auch online gab es keine. Lediglich zu finden war ein YouTube-Video ohne Audio, in dem bei 420p jemand die Maschine auseinandernimmt und bedient. Bei dieser Auflösung ist es unmöglich zu erkennen, wo sich ein Faden befindet. Es könnte auch ein Pantomime einen Faden mimen, wir müssten es glauben.
Relativ schnell habe ich herausgefunden, dass der Unterfaden aus einer Spule kommt, die man herausnehmen und auswechseln kann,* wenn sie leer ist (das war hier der Fall). Sehr lange habe ich gebraucht, um herauszufinden, wie genau der neue Faden durch die Spule gefädelt werden muss, damit die korrekte Unterfadenspannung entsteht. Dafür muss er unter einem Plättchen verlaufen, das man mit einer winzig kleinen Schraube justieren kann, damit die Spule, wenn man sie am Faden hält, ein paar Zentimeter herunterrutscht, nicht mehr und nicht weniger. Eine Stunde und einen schweren Wutanfall später konnte es dann weitergehen. Mit dem Rock, erinnert ihr euch noch? Die notdürftig beschlossenen Falten machten sich optisch ganz gut. Leider ist mir erst zu spät aufgefallen, dass der Verschluss, der in die letzte noch nicht vernähte Naht sollte, dann vorne sein wird. Naja. Da ich zu diesem Zeitpunkt unter Materialknappheit litt, bestand der erste Verschluss aus einer halben Büroklammer, die als Haken diente. Nicht schön, nicht praktikabel. Später ist ein Druckknopf an die Stelle gekommen. Zwar wären zwei besser gewesen, aber ich habe ja auch noch ein Leben. Eine Tasche hat Püppi natürlich auch in ihren Rock bekommen, denn niemand sollte Kleidung ohne Taschen tragen müssen.
Ein Hemd für mich
Nachdem Püppi erst einmal ordentlich angezogen war, wollte ich ein Piratenhemd für mich selbst. Dazu nahm ich den Stoff einer anderen Gardine, goldgelb, Seidenoptik, 100% Plastik. Um herauszufinden, ob ein Stoff aus natürlichem Material besteht, kann man ein kleines Probestück anzünden oder bleichen und schauen, wie es sich verhält. Meine gelbe "Seide" ist zu einem kleinen schwarzen Plastikball zusammengeschnurrt, ein gutes Indiz dafür, dass es sich um Plastik handelt. Generell ist Seide (und ihre künstlichen Verwandten) ein sehr fiddeliger, launenhafter Stoff. Damit sollte man nicht anfangen, weil es extrem schwer ist, damit präzise zu arbeiten. Nur Samt ist schlimmer, oder vielleicht Organza. Aber man kann sich im Leben seine Gardinenreste oft nicht aussuchen. Ich nahm ein paar Maße und rechnete mir ein sehr großzügiges Hemd zurecht. Dann schnitt ich die Rechtecke aus, krumm und schief, nicht zuletzt weil die Stoffbahnen ständig durch ihr eigenes Gewicht in irgendeine Richtung gezogen wurden und bastelte das Hemd zusammen. Es war extrem schwer, mit dem Stoff präzise zu arbeiten. An einigen Stellen habe ich ein bisschen gefuckelt, Nähte teilweise wieder aufgetrennt und mit Hand nachgearbeitet oder direkt kleinere Nähte mit Hand genäht. Es ist mir einigermaßen unverständlich, wie man immer wieder Dinge falsch herum annähen kann (siehe Ärmelvergleich).


Am Ende ist aber tatsächlich ein Hemd rausgekommen. Auf die Ärmel bin ich ein bisschen stolz. Durch das viele Reffen ist es auch nicht schlimm, dass die Maße nicht perfekt sind. Der Torsoteil ist etwas sehr großzügig geraten, da passt auch sehr viel mehr Bauch rein, aber da kann man entweder einen Gürtel drummachen oder einen Goldschatz drin verstecken oder einen dicken Mann mit dünnen Armen finden, dem man das Hemd schenkt.
Die eigene Maschine
Der nächste logische Schritt war der Gedanke, auf lange Sicht eine eigene Nähmaschine zu besitzen.** Und wie das oft ist, wenn man etwas braucht, gab es ein Angebot im Aldi. Ich neige nicht zu Impulskäufen. Als das Gerät (eine Singer Heavy Duty) nach einer Woche immer noch zu haben war und meine Gedanken das gute Stück in dieser Zeit nie lange verlassen hatten, schlug ich zu. Die angeblichen Mängel der Maschine, von denen man in Internetkritiken liest, kann ich bisher nicht bestätigen. Das Gerät läuft wunderbar im Rahmen dessen, was man von einer Nähmaschine, als Gattung spirituell eng mit Druckern verwandt, erwarten kann. Mit Bedienungsanleitung ist die Bedienung auch sehr angenehm angeleitet. Die einzige Ausnahme bildet bisher das Einsetzen des Knopflochfußes. Dazu steht dort als tautologischer erster Arbeitsschritt: “Setzen Sie den Knopflochfuß ein”. Nun benötige ich aber keine Bedienungsmotivation, sondern eine Bedienungsanleitung. Dass das Wechseln des Nähfußes über einen kleinen Hebel auf der Rückseite des Gerätes funktioniert, der die Halterung öffnet, kann ich ja nicht riechen.
Was ist ein Rock ohne Weste?

Nachdem Püppi ein schönes Hemd und einen okayen Rock hatte, fehlte für das ganze Ensemble eine Weste (technisch gesehen fehlt für das GANZE Ensemble auch noch ein Blazer, aber eins nach dem anderen). Mit ein paar Blättern Zewa versuchte ich durch Anhalten den richtigen Schnitt herauszufinden. Das habe ich im Internet virtuose Leute mit Papier machen sehen. Kann man auch mit Stoff machen, dann heißt es drapieren. Mit Zewa funktioniert es okay, zumindest für Puppen. Die Weste sollte fürs Erste aus nur einem Stück Stoff bestehen, um es nicht zu kompliziert zu machen. Sie ist passend zum Rock aus demselben Material (IKEA, Hannalil, hellbraun). Außerdem braucht eine ordentliche Weste ein Innenfutter, vorzugsweise aus gelber Pseudoseide (technisch gesehen dann zwei Stücke Stoff). Hier waren die Nähte mal wieder so fitzelig, dass ich komplett mit Hand gearbeitet habe. So ein Überwendlingsstich ist extrem befriedigend, wenn auch langwierig. Mit der Hand Nähen ist wie puzzeln, plötzlich sind fünf Stunden ins Land gegangen und man hat die ganze Zeit an nichts Böses gedacht, ein Traum. Mit der Maschine nähen ist nur toll, solange nichts schiefgeht.

Vorne kamen zwei Stoffknöpfe auf die Weste, allerdings faux, denn innen sind Druckknöpfe eingenäht. In die schöne fertige Weste Knopflöcher reinzuschneiden habe ich mich einfach nicht getraut. Mittlerweile habe ich bemerkt, dass in vielen modernen Hemden die Knopfleiste ein extra Stück Stoff ist. Noch mittlererweile habe ich herausgefunden, wie man mit der Nähmaschine Knopflöcher macht, nachdem man den Knopflochfuß eingesetzt hat.
Später hat die Weste noch eine Uhrentasche aufgesetzt bekommen, in der Püppi ihre kleine Taschenuhr mit Knopfzelle verstauen kann.
Die Zukunft hält Großes im Kleinformat bereit
Dank einer mildtätigen Spende bin ich jetzt freudiger Eigentümer einer schöne Auswahl Knöpfe, eines Haufens Stoffreste und eines kleinen Regenbogens an Garn, das reicht vermutlich für Püppis gesamte Garderobe aus. Eines Tages wird sie auch Schuhe bekommen und einen Hut. Und eine Handtasche. Aber vorher ein Sommerkleid, einen Übergangsmantel, und eine Jeans …
Fortsetzung folgt.
* Auf Englisch wird diese Spule charmanterweise “bobbin” genannt.
** Damit meine ich natürlich, liebe Juristenfreunde und Freunde von Juristen, Eigentümer einer Nähmaschine zu sein.
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