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Die Kunst des Nähens Teil 2

  • Autorenbild: Vensch
    Vensch
  • 5. Nov. 2023
  • 3 Min. Lesezeit

Erste Stiche


In Teil 1 haben wir uns mit Bernadette Banners Nähratgeber beschäftigt, in den nächsten Wochen setzen wir uns mit den Folgen auseinander.


Schon einige Monate vor dem Beginn unserer eigentlichen Geschichte geschah etwas Bedeutsames. Im Rahmen des Projekts, eine Garnitur Stühle neu zu beziehen, kam eine geliehene Nähmaschine ins Haus. Mein erstes Projekt war - ganz im Sinne dieses Blogs - ein Buchumschlag aus Stoff für Privatsphäre beim Pendeln. Schon mal dabei, schusterte ich außerdem eine kleine Tasche mit Henkel zusammen (zufällig passt ziemlich genau ein Taschenbuch hinein)*. Danach ruhte der Senfsame, bis ein paar Monate später Bernadette Banner in mein Leben trat. Nachdem ich ihr Buch gelesen und ihren kleinen Einführungskurs bei Skillshare geschaut habe, wollte ich richtig mit dem Nähen anfangen, auch ohne Nähmaschine zur Hand. Vermutlich ist der gängige Ansatz, mit einem simplen Schnittmuster anzufangen und sich daran entlang zu hangeln, aber warum einfach, wenn es auch kompliziert geht.


Das erste Hemd und eine neue Bekanntschaft

Mein erstes richtiges Projekt war ein Piratenhemd, beziehungsweise ein Männerhemd ca. 18. Jahrhundert, für Anfänger gut geeignet, da es nur aus Rechtecken besteht (Begleitvideo hier). Ich begann mit Hand, und weil das ziemlich lange dauert und alles in Miniatur mehr Spaß macht, entschied ich mich, mit einem Puppenhemd anzufangen. Auf dem Dachboden war noch eine alte Schildkröt-Puppe zu finden. Interessanterweise haben diese Puppen Nummern im Nacken, die man online nachschauen kann, um zu erfahren, wie die jeweilige Puppe heißt. Meine heißt offiziell Ursel, ich darf sie aber, weil wir uns sehr nahe stehen, Püppi nennen. Gehüllt in ein leicht dreckiges gehäkeltes Kleidchen und mit einem kaputten Auge, das nicht von alleine schließen oder aufgehen will, sah sie etwas desolat aus und wartete nur darauf, eine ordentliche Garderobe zu bekommen. Ich nahm also Maß, einen alten Gardinenrest (Ikea, Hannalil, beige) zur Hand und mich zusammen. Das Hemd hat den Rest des Tages auf magische Weise verschwinden lassen. Danach taten mir außerdem ziemlich die Unterarme weh, aber ich war mit dem Ergebnis zufrieden. Innen sind natürlich alle Nähte unversäubert, aber das gute Stück wird wohl weder viel gewaschen, noch besonders viel Bewegung ausgesetzt werden.**


Psychologisches Tiefenbild

Eine kleine Randnotiz zu meiner Arbeitsweise: Ich bin fauler Perfektionist. Es soll perfekt werden, aber bitte effizient, denn nichts ist schlimmer als unnützer Aufwand. Würde ich mir ein Schnittmuster heraussuchen, mich bemühen, alles perfekt zu machen, die 80/20-Regel in den Wind schlagen und alles geben, würde ich entweder nie fertig oder lieferte nach viel Aufhebens ein anfängerübliches Resultat ab, was nicht gut genug wäre und mich frustrieren würde. Stattdessen versuche ich es gar nicht erst, sondern klamüsere mir ein Übungsstück zurecht, bei dem ich genau austeste, wie viel ich pfuschen kann. Dann kann ich am Ende immer sagen: Dafür ist es eigentlich ganz gut! (Ihr seht, man muss sich nur gut genug kennen, um sich selbst auszutricksen.)


Let’s Rock

Am nächsten Tag die frohe Botschaft: Die geliehene Nähmaschine ist noch im Haus, Hosianna Freunde! Zeit also für einen Rock zum Hemd. Püppis erster Rock ist kaum der Rede wert (weiß, am Bund gerefft). Denkwürdig daran war hauptsächlich, dass mittendrin der Oberfaden verschwand und ich ordentlich Zeit mit dem Wiederfinden verbracht habe. Aber ihr zweiter Rock ist schon ein recht hübsches Ding geworden. Ich wollte einen "victorian walking skirt" haben (ich habe keinen deutschen Namen für dieses Kleidungsstück gefunden), da habe ich mal in Bertha Banners Household Sewing with Home Dressmaking geschaut, den Bernadette gerne benutzt und der online frei zugänglich ist. Da gibt es unter anderem schwer erkennbare Schnittmuster und ich würde nicht ausschließen, dass ich die Idee einigermaßen verstanden habe: Ein solcher Rock besteht aus mehreren Teilen, die oben an der Hüfte schmal und angepasst sind, nach unten hin aber breiter werden, so dass der Rock unten ausgestellt ist. Somit eignet er sich gut fürs Tagesgeschäft und Spazierengehen gutsituierter viktorianischer Damen (deshalb walking skirt). Ich entschied mich für vier Teile, das können aber deutlich mehr werden. Also nahm ich Maß (Püppis Taillenumfang sind 25 cm), rechnete den Maßstab aus, machte Papierschablonen, schnitt die Stoffteile aus und hatte schließlich einen Rock, der im Umfang genau doppelt so groß war, als wie er hätte sein sollen (ups). Aber die Länge stimmte. Um die bereits aufgewendete Arbeit weiter nutzen zu können, entschied ich mich, Falten einzunähen. Um Symmetrie bemüht, bügelte ich die Falten zurecht (Nähen ist zu 70% Bügeln), befestigte alles irgendwie mit Stecknadeln, schob das fragile Konstrukt unter den Fuß der Nähmaschine, nähte ganz ganz vorsichtig und möglichst präzise und bemerkte erst am Ende der Naht, dass nach einem guten Drittel der Unterfaden verschwunden war.



Fortsetzung folgt.




* Oder auch eine Handvoll Masken, zwei Tüten Haribo, ein zusammengefaltetes Stück Herrenoberbekleidung, ein großes Einmachglas voller Knöpfe, ein kleiner Knochenschinken, eine mittelgroße Dose Kichererbsen, eine Schneiderschere, ein Paar Kinderschuhe, ein Bund Möhren, ein Flachmann, eine Flasche Saft, eine Dose Redbull, drei Dosen Thunfisch, ein roter Hering oder ein ganz kleiner Elefant.

Wer erinnert sich noch an Ephraim Kishon?


** Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Mittlerweile sind die Ärmelnähte einmal überarbeitet worden.


Comments


Kommentare (6)

Guest
May 15, 2024

Die kleinen Taschen und die Bekleidung für alte Puppen, einfach nur schön.

Leider bin ich völlig untalentiert für solche Sachen😔

Liebe Grüße

Petra

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Guest
Apr 19, 2024

Kleidung für Püppi. Von deinen Nähkünsten bin ich total begeistert und es ist so schön beschrieben, dass das Lesen echt Spaß macht. Liebe Grüße Brigitte

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Guest
Apr 07, 2024

Sehr schön zu sehen wie viel Spaß (und Zeit) du zum Nähen hast!

Es gibt an der Nähmaschine einen speziellen Stich für dehnbare Stoffe. Mit dem dürfte der Faden nicht reißen!

Für große Köpfe gibt es spezielle Tricks - einfach mal nachschauen wie das bei den Shirts für Babys gemacht wird!


Liebe Grüße

Miriam



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Guest
Feb 12, 2024

Always insightful. Good work. 😀

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Guest
Oct 21, 2023

Es regnet, endlich Zeit, die Beiträge zu lesen und nicht nur wahrzunehmen. Macht Freude, das zu lesen und obwohl ich das Buch und die Videos nicht kenne, kann ich mir eine Menge vorstellen! Biene

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Guest
Jul 30, 2023

Sehr schön geschrieben!

Liebe Grüße

Christina

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