Bücherengel 2019
- Vensch
- 9. Dez. 2019
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Jan. 2020
Die besten Bücher 2019 (Prosa)

Das Jahr 2019 neigt sich dem Ende zu und es wird Zeit, Bilanz zu ziehen. Ich habe alle (Prosa-)Bücher herausgesucht, die es in meiner persönlichen Bewertung auf 8 - 10/10 geschafft haben und diese noch mal abschließend sortiert.
Wer sich die Liste anschaut, wird sofort sehen, dass sie extrem subjektiv gestaltet ist. So haben es Bücher, die wohl abstrakt "besser" sind, weniger hoch in die Liste geschafft, weil mein persönliches Vergnügen an ihnen deutlich niedriger war. So tue ich wohl häufig längeren Büchern ein wenig Unrecht. Aber da muss man ehrlich zu sich selbst sein, manchmal muss es ein einfaches Buch für einen gemütlichen Nachmittag im Bett sein. Man kann ja nicht nur Melville oder Dostojewski lesen.
Nun also in absteigender Reihenfolge, das beste zuerst, die Bücherfreuden des Jahres 2019:
1. Charlie and the Chocolate Factory
(Charlie und die Schokoladenfabrik)
Roald Dahl
10/10
Charlie ist sehr arm und wohnt direkt neben einer zauberhaften Schokoladenfabrik, in die aber seit Jahren niemand mehr reingelassen wurde. Es ist wohl kein Spoiler zu sagen, dass Charlie später das Reich des skurrilen, aber genialen Süßigkeitenfabrikanten Willie Wonka betreten darf und dort so einiges erlebt.
Eine herzerwärmende, lustige, intelligent und schön erzählte Kindergeschichte, mit etwas, aber nicht zu viel Moral, die nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Auch in den 70er Jahren haben Kinder schon zu viele Süßigkeiten gegessen, zu viele Geschenke bekommen und zu viel Fernsehen geschaut.
Die englische Ausgabe lebt von ihrem Wortwitz, so dass ich für den geneigten Leser das Original empfehlen würde, die Geschichte ist aber sicherlich auch auf deutsch schön.
Ein Juwel an Kinderbuchliteratur!
2. Endstation Venedig
Donna Leon
9/10
Hier ist das versprochene Buch für einen gemütlichen Nachmittag im Bett oder eine lange Zugfahrt. "Endstation Venedig" ist der zweite Band einer (langen) Reihe von Kriminalromanen über den venezianischen Kommissar Guido Brunetti. Alle Bücher der Reihe machen Spaß, das zweite ist aber deutlich besser als das erste und auch deutlich besser als die späteren Bände (vielleicht lässt aber auch nur mit der Zeit der Reiz des Neuen nach).
Das Buch erzählt seine Geschichte über ein mysteriöses Verbrechen in vielen Grautönen, beschreibt Land und Leute und bleibt durchgehend spannend.
Gut zu lesen und einfach zu folgen.
3. The Handmaid's Tale
(Der Report der Magd)
Margaret Atwood
9/10
1984 aus weiblicher Perspektive.
Eine fesselnde, sprachlich gelungene Geschichte einer extrem mysoginistischen Dystopie in der nahen Zukunft, die heute bereits Vergangenheit wäre. Genialer Drahtseilakt zwischen unfassbaren Gräueltaten und nüchternen Beschreibungen, die dabei nicht bar jeder Emotion sind (und somit auch für empfindlichere Leser noch lesbar).
Das Buch profitiert von der Ich-Perspektive (die je nach Qualität ein gutes Buch häufig besser und ein schlechtes Buch häufig schlechter macht).
4. Romulus der Große
Dürenmatt
9/10
Eine Dürenmatt-Komödie par excellence. Der Schauplatz ist das Anwesen des letzten römischen Kaisers Romulus, kurz vor dem Fall des römischen Reiches unter dem Ansturm der Germanen. Die Geschehnisse überschlagen sich mit treffsicherem, zynischem Humor, der an keiner Stelle repetitiv oder überzogen wirkt. Ab der Hälfte etwa wird der Leser zudem mit einer schleichenden Entwicklung hin zu einer moralischen Ernsthaftigkeit überrascht und das Ende ist völlig unvorhersehbar, aber passend.
Eine intelligente, trotzdem lustige und zum Nachdenken anregende Komödie mit mehreren unvorhergesehenen Wendungen.
5. Die Erzählungen des verstorbenen Iwan Petrowitsch Belkin
Alexander Sergejewitsch Puschkin
8/10
Tolle, atmosphärische Kurzgeschichten über das halbzivilisierte Russland des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Puschkin beschreibt nüchtern und sachlich, aber mit einer Prägnanz und Atmosphäre, die jede einzelne Geschichte zu einem Vergnügen machen.
6. The 3-body-problem
(Die drei Sonnen)
Cixin Liu
8/10
Sinozentrische Sci-Fi, in der die Erde von einer fremden Zivilisation aus dem fernen All bedroht wird. Dabei werden die Handlungen der Charaktere sehr durch die jüngere chinesische Geschichte geprägt. Toll übersetzt und mit einem Glossar und erklärenden Fußnoten für den unbedarften westlichen Leser ausgestattet.
Diese Geschichte ist abgefahren, unerwartet, fesselnd. Astrophysik mit chinesischen Charakteristika. Wer sich bisher nicht an chinesische Science-Fiction herangewagt hat, für den wird es Zeit!
7. Moby Dick
(Englischen Ausgabe)
Herman Melville
8/10
Die Geschichte ist schnell erzählt und jeder kennt sie: Ahab jagt seinen Wal. Wer aber nun einen Abenteuerroman erwartet, der wird wohl enttäuscht. Tatsächlich handelt es sich eher um ein philosophisches Zwiegespräch des Erzählers mit sich selbst, das hier und da durchbrochen wird von Berichten aus dem Leben eines Walfängers.
Nach der Lektüre dieses Buches weiß man alles über Wale und einiges mehr. Zeitweise ist es ungeheuer atmosphärisch, dann wieder durchsetzt von scheinbar ammenhaften Nebensächlichkeiten (so verwendet der Autor z.B. einige Seiten auf die biologische Einordnung der Wale, die der Erzähler für Fische hält). Es ist wohl auch als unlesbar bezeichnet worden (denn ja, es ist lang und verworren). Aber wenn man sich darauf einlässt, erfährt man viele tiefgehende Gedanken und erspäht epische Szenerien. Toll geschrieben, wenn man Spaß an archaischem Englisch hat.
8. La casa de los espiritus
(Das Geisterhaus)
Isabel Allende
8/10
Eine südamerikanische Familiengeschichte, die sich über das 20. Jahrhundert erstreckt. Obwohl das Land nie namentlich genannt wird, lässt sich aus einigen Hinweisen ableiten, dass es sich um das Geburtstland der Autorin, Chile, handelt.
Die Erzählweise ist magischer Realismus pur. Wunderliche Dinge werden völlig selbstverständlich in eine historisch anmutende Darstellung integriert (Ja, die schönste der Töchter hatte grüne Haare, wie eine Seehexe, etwas ärgerlich, deshalb wusch man ihr Haar mit Essenzen, die es fast braun aussehen ließen).
Der Spannungsbogen flacht in der Mitte etwas ab, nimmt aber zum Ende hin noch mal deutlich Fahrt auf. Viel Liebe und viel Gewalt, aber so beschrieben, dass ein zartes Gemüt sie noch lesen kann.
Spannend, interessant, magisch.
9. Weiße Fracht
Gil Ribeiro
8/10
Ein Sternchen der Trivialliteratur. Liebenswerte Charaktere in einem bunten Krimi an der Algarve. Eine Geschichte um einen Asperger, bei dem es doch immer wieder menschelt. Zum Schmunzeln und Mitfiebern, obwohl die Lösung des Falles eher etwas in der Hintergrund rückt. Teilweise etwas vorhersehbar, aber nicht 0815.
Ein großer Spaß!
10. Watership Down
(Unten am Fluss)
Richard Adams
8/10
Die Geschichte einer Gruppe von Hasen, die auf der Suche nach einem neuen Zuhause viele Abenteuer erlebt.
Weil das Buch Tierprotagonisten hat, erwartet man wohl etwas Putziges mit wenig Tiefgang, nichts könnte aber weiter von der Wahrheit entfernt sein. Es ist quasi Herr der Ringe mit Hasen. Es ist lang, es beschreibt unglaublich viel Landschaft, es ist episch und es wärmt einem das Herz.
Wenn auch das längste Kinderbuch, das ich je gelesen habe, so war es das Ende absolut wert.
11. Der Spieler
Fjodor Dostojewski
8/10
Ein russischer Hauslehrer verbringt im Rahmen seiner Anstellung bei einer zunehmend verarmenden russischen Adelsfamilie seine Tage beim Roulettespiel in einem deutschen Kurort. Der Name ist Programm: Eigentlich passiert nicht viel, außer dass viel gespielt wird. Aber die Charaktere und die Sprache machen Spaß und auf unerklärliche Weise ist es doch spannend.
Natürlich ein bisschen schwermütig und fatalistisch, der Autor ist ja schließlich Russe.
12. Le malade imaginaire
(Der eingebildete Kranke)
Moliere
8/10
Eine französische Komödie in drei Akten aus den 1650ern. Überraschend gut lesbar in der Reclam Ausgabe mit Vokabelhilfen (obwohl natürlich immer die Wörter angegeben sind, die man schon kennt und die, die man noch nicht kennt, nicht). Tatsächlich komisch und unterhaltsam.
13. The curious incident of the dog in the night-time
( Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone)
Mark Haddon
8/10
Ein überraschend spannendes, herzerwärmendes Buch über einen Asperger-Jungen, der das Mysterium um einen Toten Hund aufklären will und dabei noch einige andere Dramen aufdeckt, die er selbst nicht versteht, dem Leser aber einiges sagen. Das Buch war mir vom Namen her aus meiner Schulzeit bekannt, so dass ich es aus Neugier angefangen habe, als es mir zufällig in die Hände fiel. Eine gute Wahl für die Schule, denn durch seine simple Erzählweise mit kurzen, logischen Sätzen eignet es sich gut, um die englische Lektüre "echter" Bücher zu üben. Dabei bietet es gleichzeitig eine intelligente, spannende Handlung und eine mehrschichtige Geschichte mit emotionalem Tiefgang.
Dies ist ein Test.
miep