Anne of Green Gables - Gelacht, geweint, geliebt
- Vensch
- 18. Juni 2023
- 5 Min. Lesezeit
Eine herzerwärmende Geschichte über ein Mädchen, das seinen Weg geht

Lucy Maud Montgomery
Erschienen 1908–1939
8/10
Das erste Buch (Anne auf Green Gables) beginnt 1877. Durch ein Versehen gerät das 11-jährige Waisenmädchen Anne Shirley an die Geschwister Matthew und Marilla Cuthbert, die einen Jungen adoptieren wollen, der sie im Alter versorgen kann. Anne ist ein ungewöhnliches Kind, sie besitzt eine grenzenlose Fantasie, liebt es, sich hochtrabend auszudrücken und quillt bisweilen über vor Lebensfreude. Der extrem schüchterne Mathew fühlt sich ihr seltsam verbunden und überzeugt die praktisch veranlagte Marilla, Anne aufzunehmen. Obwohl Marilla ihre Gefühle nicht äußerlich zeigen kann, ist das Leben ohne Anne für sie bald nicht mehr vorstellbar.
Die kleine Familie lebt auf dem Bauernhof Green Gables auf Prince Edward Island, an der Ostküste Kanadas. Dort ist die Welt noch in Ordnung, das bäuerliche Leben ist einfach und langsam, die Leute konservativ und fromm. Anne fegt wie ein frischer Wind durch die eingestaubten Verhältnisse, schon bald tuschelt das ganze Dorf über sie. Aber ihre einnehmende Art macht sie zu einem der beliebtesten Mädchen in der kleinen Dorfschule. Das Nachbarskind Diana und sie werden unzertrennliche Freundinnen.
Anne ist aufrichtig, ehrlich und ehrgeizig, aber auch träumerisch und oft unkonzentriert, so dass ihr immer wieder harmlose, aber peinliche Missgeschicke passieren, bei denen der Leser herzlich mitleidet. Zum Beispiel verwechselt sie den Johannisbeersaft mit Marillas medizinischem Wein, worauf Diana betrunken nach Hause kommt, was reichlich Ärger auslöst. Ein anderes Mal verwechselt sie Vanilleessenz mit Tran und ihr Kuchen für eine wichtigen Besuch wird ungenießbar.
Besonders toll an dieser Buchreihe sind die vielen verschiedenen Haupt- und Nebenpersonen, die zum Anfassen echt erscheinen. Für die Zeit ungewöhnlich ist auch die Breite an verschiedenen weiblichen Charakteren, die ihren Weg finden und gehen. Anne ist kein Tomboy, sie fühlt sich grundsätzlich in einer klassischen Frauenrolle mit schönen Kleidern und Haushaltsaufgaben wohl, ist aber gleichzeitig intelligent und zielstrebig und setzt sich dafür ein, Bildungschancen wahrzunehmen und selbstbestimmt handeln zu können. Die Erzählung hat dabei eine Menge Humor, aber auch einen klaren moralischen Kompass, die meisten Probleme können durch Ehrlichkeit und Fleiß gelöst werden und die Menschen finden oft Trost und Stärke in ihrem Glauben. Dabei sind die Geschichten nicht immer nur leichte Kost, wenn sie auch derart schön erzählt sind, dass man gerne mit den geliebten Protagonisten gemeinsam leidet und trauert.
Ich habe die Reihe 2021 gelesen und 2022 noch mal als Hörbuch gehört. Das E-book mit allen Büchern gibt es bei Amazon für 0,49€. "The Anne of Green Gables Collection" bei Audible kostet derzeit 23,95€, leider fehlen dort die später geschriebenen Bände Anne in Windy Poplars und Anne of Ingleside. Alle Bücher bewegen sich im Rahmen von etwa 150-350 Seiten und sind ein tolles Erlebnis. Wärmste Empfehlung!
ACHTUNG Spoiler
Es folgt ein kleinen Überblick über die ganze Serie, wer sich völlig überraschen lassen will, sollte unten hier weiterlesen, sondern stattdessen hier.
Ihr seid gewarnt.
Der Leser begleitet Anne durch einen Großteil ihres Lebens, ihre Schul- und Universitätszeit, einige Jahre im Beruf als Lehrerin und danach als Hausfrau und Mutter.
Die Bücher der Serie sind die Folgenden:

Anne of Green Gables (Anne auf Green Gables)
240 Seiten
Ersterscheinungsjahr 1908
Anne of Avonlea (Anne in Avonlea)
226 Seiten
Ersterscheinungsjahr 1909
Aufgrund eines plötzlichen Todesfalles in der Familie will Anne Marilla nicht allein lassen. Statt wie geplant zum Studium fort zu gehen, wird sie Lehrerin in der kleinen Dorfschule im Ort. Noch dazu lädt ein entfernter Verwandter nach dem Tod seiner Frau die beiden sechsjährigen Zwillinge Dora und Davy auf Green Gables ab, die für einigen Wirbel sorgen.
Anne of the Island (Anne in Kingsport)
279 Seiten
Ersterscheinungsjahr 1915
Anne kann doch noch auf die Universität in Kingsport gehen. Dort gründet sie eine Haus-WG mit ihren Freundinnen (und das in den 1980ern, wie toll ist das bitte?). Außerdem geht sie mit einem schicken jungen Mann aus, kann das was werden?
Anne of Windy Poplars (Anne in Windy Willows)
288 Seiten
Ersterscheinungsjahr 1936
Anne wird Lehrerin und Schulleiterin einer kleinen Dorfschule in Summerside. Sie wohnt bei zwei skurrilen, liebenswürdigen älteren Witwen und hat mit dem lokalen Familienclan zu kämpfen, der sie als Außenseiterin nicht akzeptieren will.
Anne’s House of Dreams (Anne in Four Winds)
187 Seiten
Ersterscheinungsjahr 1917
Anne heiratet (mit 25, ein Glück, dass das überhaupt noch was geworden ist). Sie beginnt ihr gemeinsames Leben mit ihrem Ehemann in ihrem kleinen* Traumhaus abseits des Fischerdorfes Four Winds auf der anderen Seite der Insel. Tolle neue Charaktere lassen nicht lange auf sich warten. Da ist die wunderschöne, aber seltsam kalte Nachbarin Lesley, die männerverachtende, Methodisten-verabscheuende aber sonst warmherzige und hilfsbereite Miss Cornelia und der alte Leuchtturmwärter Captain Jim, der die weite Welt bereist hat und gerne abends zum Erzählen ans Treibholzfeuer kommt. Aber auch in dieser Idylle schlägt das Schicksal ein, ich habe sehr weinen müssen, sowohl aus Mitgefühl als auch weil es so schön war.
Anne of Ingleside (Anne in Ingleside)
324 Seiten
Ersterscheinungsjahr 1939
Die kleine Familie zieht um ins nächstgrößere Dorf, in ein Haus namens Ingleside (damals hatten Häuser noch Namen), alles wächst und gedeiht. Der Fokus liegt weniger auf Anne als auf den verschiedenen Erlebnissen ihrer Kinder. Am Ende des Buches steht der Kontrast zur erfolgreichen, kinderlosen Christine: In Abgrenzung zu ihr ist Anne glücklich mit ihrem Familienleben und bereut es nicht, keine vielversprechende Karriere als Schriftstellerin verfolgt zu haben. Diesem Ergebnis stehe ich etwas zwiespältig gegenüber. Zwar finde ich es grundsätzlich unproblematisch, dass es für Anne die Erfüllung ihres Lebens bedeutet, sechs Kinder groß zu ziehen, ihr Leben in einem kleinen Dorf zu verbringen und für ihre Nachbarn und Freunde da zu sein, statt für die ganze Welt, aber die Darstellung von Christine hätte weicher ausfallen können, sie ist eine verbitterte, einsame Frau, die früh gealtert ist.
Rainbow Valley (Anne im Rainbow Valley)
352 Seiten*
Ersterscheinungsjahr 1919
Der deutsche Titel ist etwas irreführend, da man Anne in diesem Buch kaum zu Gesicht bekommt, vor allem nicht im sogenannten „Regenbogental”, dem Lieblingsspielort ihrer Kinder. Ein neuer Pastor kommt in den Ort und schon bald flüstert es überall, denn er ist verwitwet, alleinstehend mit vier Kindern! Er ist zwar liebevoll, aber so geistesabwesend, dass er seine Sprösslinge ungewollt vernachlässigt, so dass sie einen Fauxpas nach dem nächsten begehen (wer hätte je von einer Pastorentochter gehört, die ein Wettreiten auf einem Schwein durchs Dorf veranstaltet? Oder noch schlimmer, in der Kirche keine Socken trägt?). Annes Kinder freunden sich mit den Vieren an und am Ende wird natürlich alles gut und der Ort ein bisschen toleranter.
Rilla of Ingleside (Anne und Rilla – Zum ersten Mal verliebt/Anne und Rilla – Der Weg ins Glück)
352 Seiten
Ersterscheinungsjahr 1921
Was für ein unglaublich dämlicher, unpassender deutscher Titel. Darunter würde man etwas völlig Anderes erwarten, vielleicht sogar - Gott bewahre - etwas von Nina George. Aber das Gegenteil ist der Fall. Der erste Weltkrieg bricht aus und plötzlich ist alles schlimm und traurig. Es gibt Briefe aus den Schützengräben, statt kleinen Haushaltsmissgeschicken.** Ich wusste gar nicht, dass die Kanadier so viele Hilfstruppen im ersten Weltkrieg gestellt haben. Rillas Backfischzeit wird überschattet von Kriegswirtschaft und drohendem Unheil. Sie, das einzige unehrgeizige, bequemliche Mädchen der Familie, das nur an Tanzen, schöne Kleider und Vergnüglichkeiten denkt, übernimmt ihren Teil und wächst daran. Vielleicht ist die Geschichte an einigen Stellen ein bisschen pathetisch, aber sehr schön und traurig, und bisweilen sogar etwas mystisch. Es geht um Pflichtgefühl und Ehre und darum, das Richtige zu tun.***
Warnung: Nach diesem Buch ist die Relektüre der vorherigen Bücher ein völlig anderes Erlebnis, da alles immer von diesem Buch überschattet bleiben wird.
* Klein ist hier wie immer in alten Büchern relativ. Der Platz reicht auf jeden Fall für zwei Eheleute, Nachwuchs und mindestens einen Dienstboten, sowie für Gäste.
** Ich habe von mehreren Freundinnen gehört, dass ihre Mütter ihnen in ihrer Kindheit verschwiegen haben, dass die Verfilmung dieses Buches existiert.
*** Nicht uninteressant für die aktuelle Lage ist, wie mit dem einzigen Pazifisten im Dorf umgegangen wird.
Die kleinen Taschen und die Bekleidung für alte Puppen, einfach nur schön.
Leider bin ich völlig untalentiert für solche Sachen😔
Liebe Grüße
Petra
Kleidung für Püppi. Von deinen Nähkünsten bin ich total begeistert und es ist so schön beschrieben, dass das Lesen echt Spaß macht. Liebe Grüße Brigitte
Sehr schön zu sehen wie viel Spaß (und Zeit) du zum Nähen hast!
Es gibt an der Nähmaschine einen speziellen Stich für dehnbare Stoffe. Mit dem dürfte der Faden nicht reißen!
Für große Köpfe gibt es spezielle Tricks - einfach mal nachschauen wie das bei den Shirts für Babys gemacht wird!
Liebe Grüße
Miriam
Always insightful. Good work. 😀
Es regnet, endlich Zeit, die Beiträge zu lesen und nicht nur wahrzunehmen. Macht Freude, das zu lesen und obwohl ich das Buch und die Videos nicht kenne, kann ich mir eine Menge vorstellen! Biene
Sehr schön geschrieben!
Liebe Grüße
Christina