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A Clockwork Orange

  • Autorenbild: Vensch
    Vensch
  • 14. Jan. 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Gewaltverherrlichende Dystopie mit komplizierter Linguistik



A Clockwork Orange

Anthony Burgess

Ersterscheinungsjahr 1962

175 Seiten

8/10


In einer unbestimmten, sozialistischen Zukunft folgt der Leser dem Protagonisten Alex, der sehr viel Spaß an Gewalt hat, wodurch er sich die Aufmerksamkeit verschiedener Interessengruppen einhandelt. Nichts für schwache Nerven: Das Buch beschreibt ausführlich verschiedene Gang-Streitigkeiten, Überfälle und Vergewaltigungen (an einigen Stellen musste ich Passagen überspringen). Das Ganze wird auch nicht dadurch besser, dass der Autor eine komplette eigene Jugendsprache für seinen Ich-Erzähler erfunden hat, die zu weiten Teilen aus russischen Lehnwörtern besteht (z.B. to govoreet = sprechen, to peet = trinken, malenky = klein). Dieses recht experimentelle Konzept funktioniert überraschend gut und hätte wohl auch furchtbar schief gehen können.* Der Herausgeber hat sich die Mühe gemacht, einen inoffiziellen Glossar zu erstellen, wofür ich denkbar dankbar bin. 

Die Geschichte ist spannend, der zartbesaitete Leser wünscht dem Psychopathenprotagonisten fortwährend, dass er geschnappt und bestraft wird. Hier und da lassen beiläufig erwähnte Details Rückschlüsse auf die Zukunftsgesellschaft zu (es ist alles sehr deprimierend). Den Bechdel-Test belächelt dieses Buch. Der Protagonist behandelt alle Frauen, die er trifft, abwertend und wendet nur dann keine Gewalt gegen sie an, wenn er sie für irgendetwas benötigt. Die einzige Ausnahme bildet seine Mutter, die er gewissermaßen toleriert. Zwar sind alle Frauen berufstätig (es besteht Arbeitszwang für alle gesunden Erwachsenen), aber ganz im Geiste der 60er Jahre, in denen das Buch herausgekommen ist, nur in niedrigen Positionen (sie räumen im Supermarkt Regale ein oder sind Krankenschwestern).


Einen Bonuspunkt gibt es dafür, dass das Buch kein Vorwort, sondern ein Nachwort enthält. Dort ist es völlig angemessen, die Handlung des Buches in seiner Gänze zu analysieren und zu diskutieren. Leider muss dieser Bonuspunkt aber sofort wieder aberkannt werden, da das Buch mit zwei anderen Büchern des Autors verglichen wird, deren komplette Handlung ausgebreitet wird und die man danach nicht mehr zu lesen braucht. Schade.


Im englischen Wikipedia steht, es handle sich um eine “dystopian satirical black comedy”. Den Humor habe ich nicht gefunden. Einige Passagen haben mich noch länger verfolgt. In seinem dystopischen Gehalt und seiner Qualität würde ich das Buch in eine Liga einordnen mit 1984, Brave New World und Fahrenheit 451. Absolut keine leichte Lektüre, aber lohnenswert.


* Nimm das Wolfgang Koeppen, Autor von Tauben im Gras, SO schreibt man experimentelle Literatur, die auch noch jemand lesen will.








Da ich gerne noch etwas mehr zum Buch loswerden würde, kommt nach diesem KI-generierten Bild der Spoiler-Teil:





Ab hier SPOILER



Das Buch besteht aus drei Teilen: Das erste Drittel beschreibt hauptsächlich Alex’ Alltag: Gewalt Gewalt Gewalt, die er anderen gegenüber ausübt. Am Ende dieses Drittels wird er (dankenswerterweise) von der Polizei geschnappt (ordentlich verprügelt) und zu einer langen Haftstrafe verurteilt. 

Im zweiten Drittel schlägt er sich im Gefängnis durch, wo er gerne in der Bibel liest und sich innerlich an der Vorstellung wärmt, als Römer Juden zu kreuzigen (die einzige Stelle, der ich einen gewissen schwarzen Humor abringen konnte). Nachdem er dort mal wieder aus Versehen jemanden totprügelt, wird er für eine neue experimentelle Heilmethode ausgewählt. Dort wird ihm mittels Drogen eine aversive Reaktion auf Gewalt antrainiert. Dafür muss er extrem gewalttätige Filme unter Einfluss übelkeitverursachender Drogen schauen. Den Inhalt dieser Filme bekommt der Leser genau beschrieben (unter anderem Filmmaterial aus dem zweiten Weltkrieg). 

In Teil Drei versucht Alex nach seiner Entlassung, unfähig Gewalt auszuüben, einen Platz für sich zu finden. Das läuft schlecht, da er ständig Leuten begegnet, denen er Schlimmes angetan hat, und die sich nun dank seiner Wehrlosigkeit an ihm rächen können. Schließlich klopft er zusammengeschlagen an die Tür eines kleinen Hauses, wo ihn ein Mann aufnimmt, den Alex Jahre zuvor zusammen mit seinen Freunden maskiert überfallen hat, in Folge welchen Überfalls die Ehefrau des Mannes gestorben ist. Dieser Mann (F. Alexander) ist der Autor des titelgebenden Buches “Clockwork Orange”. In diesem protestiert er gegen die Methoden der Regierung , die mit ihrer neuen “Heilmethode” Menschen ihren freien Willen nimmt. Die Methode lässt die Opfer in einem Roboterzustand zurück, unfähig sich für das Gute zu entscheiden, aber auch unfähig simplen Freuden nachzugehen, da als Kollateralschaden fast alle Sinneseindrücke mit der Übelkeit aus den Filmen verknüpft sind. Die politische Gruppe um Clockwork Orange instrumentalisiert den Protagonisten in ihrem politischen Kampf gegen die Regierung und unterstützt ihn in einem Selbstmordversuch. Nachdem dieser misslingt, gerät Alex wieder in die Fänge der Regierung, die ihn von den Folgen des Experiments “heilt” und ihn vermutlich in ihrem Einflussbereich behalten wird.


Das Ende ist sehr offen und es gibt keine eindeutig “Guten” in der Geschichte. Alex ist ein gewalttätiger Schlächter, dem man so  ziemlich alles gönnt, was ihm später passiert, außer dass er seinen Selbstmordversuch überlebt. Die Charaktere, die sich für Werte wie Freiheit, Christlichkeit und Nächstenliebe einsetzen, sind entweder schwach und/oder alkoholabhängig, oder verwenden selbst niedere Methoden, um ihre Ziele zu erreichen.  

Insgesamt hat das Buch etwas Konstruiertes, dem gegenüber ich ambivalente Gefühle hege. Während des dritten Teils begegnet Alex allen (noch lebenden) Personen, die er im ersten Teil schlecht behandelt hat. Während ich die Logik des Kunstgriffes verstehe, hat es mich aus der Immersion gerissen.

In späteren Auflagen des Buches ist ein weiteres Kapitel enthalten, in dem sich der erwachsene Alex freiwillig von Gewalt abwendet. Dies wollte der ursprüngliche Verleger nicht drucken, da es ihm nicht stimmig erschien und auch in der Verfilmung von Kubrick findet sich diese Wendung nicht. Da schließe ich mich an, das kommt mir völlig absurd vor. Wer sich mit 15 fröhlich durch die Welt mordet und vergewaltigt, wird niemals zu einem normalen Umgang mit Menschen zurückkehren. 






Kommentare


Kommentare (6)

Host
15. 5. 2024

Die kleinen Taschen und die Bekleidung für alte Puppen, einfach nur schön.

Leider bin ich völlig untalentiert für solche Sachen😔

Liebe Grüße

Petra

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Host
19. 4. 2024

Kleidung für Püppi. Von deinen Nähkünsten bin ich total begeistert und es ist so schön beschrieben, dass das Lesen echt Spaß macht. Liebe Grüße Brigitte

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Host
07. 4. 2024

Sehr schön zu sehen wie viel Spaß (und Zeit) du zum Nähen hast!

Es gibt an der Nähmaschine einen speziellen Stich für dehnbare Stoffe. Mit dem dürfte der Faden nicht reißen!

Für große Köpfe gibt es spezielle Tricks - einfach mal nachschauen wie das bei den Shirts für Babys gemacht wird!


Liebe Grüße

Miriam



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Host
12. 2. 2024

Always insightful. Good work. 😀

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Host
21. 10. 2023

Es regnet, endlich Zeit, die Beiträge zu lesen und nicht nur wahrzunehmen. Macht Freude, das zu lesen und obwohl ich das Buch und die Videos nicht kenne, kann ich mir eine Menge vorstellen! Biene

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Host
30. 7. 2023

Sehr schön geschrieben!

Liebe Grüße

Christina

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