4 Yuan und ein Schlüssel - Teil 5
- Vensch
- 5. Feb. 2020
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Apr.
Mein alter Reisebericht von 2010 aus China

Der echte gelbe Fluss am Bund
9.10.10, 7:20, Shibei School, Samstag
Nach mehr als 9 Stunden Schlaf immer noch leicht verpennt. Mein Frühstück war ein süßes Brötchen mit Wurst drin, sehr chinesisch! Aber bequem ist es schon. Wollte fragen, ob jemand meine Wäsche wäscht, konnte nicht, wurde zuerst gefragt.
Anekdote. Hab am Olympia-Vogelnest ’ne spanische Truppe gesehen. Hab mich total gefreut, als die Asiatin meinte ‚Todos estamos aquí?’
Jetzt warten wir auf den Rest der Truppe. Dann Morgenappell und dann Tai Chi. Mein Muskelkater ist noch schlimmer, ich glaube, ich brauche Beinprothesen.
Tai Chi ist lustig, wenn auch auf seine eigene Art anstrengend. Wir haben auch Übungen mit Holzschwertern gemacht, sehr unterhaltsam. Die Sportlehrerin hats drauf, der will ich nicht im Dunkeln begegnen. Mittlerweile bin ich hungrig, nach meinem eher kargen Frühstück. Gut, dass es schon um 11:15 Mittagessen gibt.
Eben haben wir sogar noch eine Vorstellung der Lehrerinnen mit Fächern gezeigt bekommen. Synchronizität interessiert Chinesen wirklich gar nicht.
Ich bin müde und hungrig, will Mittagessen. Ich fürchte, heute Abend bin ich auch wieder kein Ausflugsmensch. Hoffentlich darf ich morgen ausschlafen. In der Sonne ist es verdammt warm.

Sind jetzt am Bund, das U-Bahn System ist derbe riesig. Ich bin schon wieder so kaputt und irgendwie immer noch müde. Heute muss ich glaub ich auch wieder früh ins Bett. Das moderne Viertel ist zwar ok, aber irgendwie nicht so meins. Ich glaube, ich brauche eigentlich ’n bisschen Ruhe.
Irgendwie ist die Grundstimmung grad nicht so doll, ich fang schon wieder an zu miesepetern.
Eigentlich ist das echt lustig. N paar Leutchen sind nicht nur sympathisch, sondern sogar interessant. André und ich haben eben rausgefunden, dass über die Hälfte der Leute in meiner alten Schule in seiner Grundschulklasse waren. Und so was merkt man in Shanghai.
Kirsten und Lisa (mein Pseudoverlag) haben beschlossen, meinen Reisebericht, wenn sie ihn rausbringen, „4 Yuan und ein Schlüssel“ zu nennen.
Grade sitzen wir auf einer Dachterrasse am Bund und bezahlen Ausblick und Getränke (40 Yuan der Kaffee ~ 4 €). Schmeckt sogar! Kaffee durch den coolsten Strohhalm der Welt (er hat drei Röhren). Kaffee ist ’ne nette Kiste!
Manchmal wünsch ich mir für zwei Stunden Deutschland, so zum Luft schnappen und dann weiter. Hier läuft Culcha Candela!
Dass wir im Café saßen war richtig großartig, ich war richtig erholt! Sowas brauche ich einfach! Die Gebäude im Pudong-Viertel sind schon echt eindrucksvoll! Können nicht mit den traditionellen Gebäuden mithalten, aber schon nett zum Angucken.
Nur das Wasser im Huang Pu sah nicht allzu sympathisch aus, das ist bestimmt der echte gelbe Fluss (tatsächlich heißt „Huang Pu“ übersetzt: Der Fluss mit gelben Ufern).

Danach sind wir in die alten britischen Gebäude reingegangen, heutzutage nur Banken und Hotels. Die Innenausstattung sieht fast überall noch aus wie im frühen 20. Jahrhundert. Leider durfte man kaum irgendwo fotografieren (das heißt, wir haben nur ein Foto oder so).
Irgendwelche Leute hatten dann die glorreiche Idee, Geld zu tauschen. In einer Bank. Daher haben wir dort ca. 1 Stunde verbracht. Aber langweilig geworden ist uns nicht. Wir haben uns Ewigkeiten äußerst enthusiastisch mit der Symbolik der Wand- und Deckenbilder beschäftigt. Ich hoffe wirklich, davon hat jemand ein (verbotenes) Foto gemacht. Soo interessant! Mit lateinischen Göttern/Figuren. Ich bin so ein Freak! Und der Oberklugscheißer, jetzt wissen es alle.
Zurück sind wir wieder U-Bahn gefahren. Schon übel, die Dimensionen der Stationen.
Man läuft so lange von Linie zu Linie, dass man vermutlich auch zu Fuß laufen könnte, statt die Bahn zu nehmen.
Ich bin heute in einem krassen Redefluss. Ich kann gar nicht schnell genug alles aufschreiben, was ich sagen will, ich bin so glücklich! *quietsch*
Diese Stadt ist unglaublich! Die Ampeln zeigen an, wie lange sie noch grün sind, obwohl es keinen interessiert.
Ich musste eben unterbrechen, weil ich mich mit Citrus (shao zhu jun) unterhalten habe und dann gab es Essen.
Ich kann es wirklich nicht oft genug sagen, ich bin so glücklich! Vor allem erkenne ich mittlerweile ein Muster, ich habe nämlich ein Nachmittagstief. Da brauch ich ne Pause, sonst komme ich schlecht drauf. Heute hab ich sie bekommen und deswegen hatte ich auch keinen Stimmungsdämpfer.
Das Essen war wieder so lecker! Aber die haben den Teller wirklich nur für mich gekauft, damit ich es so angenehm wie möglich habe. Meine gewaschenen Sachen lagen zusammengefaltet auf dem Bett, als ich nach Hause kam, die sind alle so unglaublich aufmerksam.
Zu Hause vermiss ich nur in meinen Tiefs, zumeist denke ich an geliebte Menschen, Cafes und die Bilder, die ich malen will. Aber was ich ganz und gar nicht vermisse, nicht mal dann, ist deutsches Essen. Boa ist das Essen hier gut. Das Einzige, was ich mir erbeten habe, als Europäer, ist ein Getränk (denn mit Hühnersuppe als Durststiller habe ich mich noch nicht ganz arrangiert). Aber vielleicht schaff ich das auch noch.
Die Soundkulisse ist lustig, wenn man drauf achtet, draußen der Verkehr (Motoren und Hupe) und drinnen die Chinesen. Ich mags.
Es gab heute auch noch eine andere Theorie über das Verkehrsverhalten der Chinesen. Die Bremse existiert, ist aber mit der Hupe gekoppelt. Auch nicht schlecht, oder?
Citrus installiert grade auf ihrem Laptop Internet, dann darf ich den die nächste Zeit benutzen, wann ich will!
Morgen ist Sonntag, offizieller Familientag. Citrus hat gesagt, sie bringt mir Chinesisch bei. Ich freu mich voll. Das ist für mich besser, als morgen auch noch Sehenswürdigkeiten, wie den ganzen Rest der Reise, denn ich bin ja auch wegen der Sprache hier. Vielleicht machen wir ja auch sonst noch was. Aber ich will unbedingt Chinesisch lernen!
Ich kriege jetzt alle paar Schritte eine Flash-Gänsehaut, das hier ist mein Land.
Den Chinesen wurde gesagt, sie sollen den Nationalsozialismus nicht ansprechen, weil es „sensible“ wäre. Wie putzig…
Ich darf morgen ausschlafen! Danach geht’s in eine sehr chinesische Stadt… glaub ich. Die Übersetzung zwischen Familie Shao Zhu und mir funktioniert noch etwas suboptimal… Aber ich verstehe, wenn sie über mich reden. De2guo2 tong2xue2, deutsche Schülerin, verstehe ich.
Das mit dem Internet auf dem Laptop funktioniert noch nicht ganz, jetzt sitzt Citrus daran, um das zu regeln, die hätte bestimmt besseres zu tun…
Hab mal wieder zwei Stunden oder so am PC verbracht, ich werde hier noch zum echten E-Mail Junkie. Obwohl ich mich hier schon so mit erzählen austobe, kann ich nicht genug über China reden. Ich habe jetzt ein neues Lieblingsthema, über das ich Monate reden werde.
Obwohl meine sensible Haut das nicht gut finden wird muss ich hier wohl fast jeden Tag duschen, bei der Wärme und dem Tai Chi. Aber ich habe die Hoffnung, dass es jetzt besser wird, wo ich akklimatisiert bin, ich glaube das einfach weg!
Die kleinen Taschen und die Bekleidung für alte Puppen, einfach nur schön.
Leider bin ich völlig untalentiert für solche Sachen😔
Liebe Grüße
Petra
Kleidung für Püppi. Von deinen Nähkünsten bin ich total begeistert und es ist so schön beschrieben, dass das Lesen echt Spaß macht. Liebe Grüße Brigitte
Sehr schön zu sehen wie viel Spaß (und Zeit) du zum Nähen hast!
Es gibt an der Nähmaschine einen speziellen Stich für dehnbare Stoffe. Mit dem dürfte der Faden nicht reißen!
Für große Köpfe gibt es spezielle Tricks - einfach mal nachschauen wie das bei den Shirts für Babys gemacht wird!
Liebe Grüße
Miriam
Always insightful. Good work. 😀
Es regnet, endlich Zeit, die Beiträge zu lesen und nicht nur wahrzunehmen. Macht Freude, das zu lesen und obwohl ich das Buch und die Videos nicht kenne, kann ich mir eine Menge vorstellen! Biene
Sehr schön geschrieben!
Liebe Grüße
Christina